tag:blogger.com,1999:blog-31260353344948192492024-03-25T10:32:34.803+11:00bruckneralles was den bruckner beschäftigt: von filmen zu büchern, von politik zu theater und ausstellungen...Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.comBlogger799125tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-24793883378954146772023-09-16T01:36:00.003+11:002023-10-22T20:57:29.040+11:00Ohnmächtig in der Postcity - zur Ars Electronica 2023<p>Wir sitzen im Rahmen der <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search?q=ars+electronica">Ars Electronica</a> im <i>Workshop Room </i>der <i>Postcity</i> in Linz und <a href="https://ars.electronica.art/who-owns-the-truth/de/events/earth4all-living-loops/" target="_blank">Nathalie Spittler und Daniel Körner</a> versuchen uns zu veranschaulichen, wie Systeme funktionieren und welche allgemeinen Gesetzmäßigkeiten dabei zum Tragen kommen. Beide engagieren sich bei <a href="https://earth4all.life/who-we-are/" target="_blank">Earth4All</a>, einer kollektiv-globalen Initiative unter (u.a.) der Schirmherrschaft vom <a href="https://www.clubofrome.org/" target="_blank">Club of Rome</a>, mit dem Ziel, die schon 1972 konstatierten <i>Grenzen des Wachstums</i>, die sich mittlerweile als <i>Pariser Klimaziele</i> schreiben, in den dafür notwendigen Maßnahmenkatalog zu übersetzen. Und es ist mehr als klar, dass angesichts des sich immer mehr beschleunigenden Klimawandels und der nach wie vor sehr vorsichtigen Politik der kleinen Schritte, das <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/1,5-Grad-Ziel" target="_blank">eineinhalb-Grad-Ziel</a> </i>nicht mehr einhaltbar sein wird: es braucht den <i><a href="https://science.apa.at/power-search/17862083832423884426" target="_blank">Giant Leap</a></i>, den <i>Riesensprung</i>, paradigmatische Wechsel - insbesondere im sozialen und im Bildungsbereich. Nach den Ausführungen zur Systemtheorie und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten nachhaltig einzugreifen, sitzen wir im Sesselkreis und erörtern die Fragestellung, was <i>wir </i>tun können<i>. </i>Und er<i>gehen</i> uns in kleinen Schritten: wir konsumieren weniger, wir leihen und verleihen, wir stärken die Gemeinschaft, in dem wir einander helfen; wir essen weitgehend vegetarisch oder vegan, wir fliegen nicht (oder wenig), wir fahren kaum Auto und wenn dann elektrisch, etc. - Und ich sitze im Sesselkreis und fühle mich an einen der diesjährigen Preisträger des diesjährigen S+T+ARTS Prize des Festivals erinnert - an<i> <a href="https://starts-prize.aec.at/en/broken-spectre/" target="_blank">Broken Spectre</a> </i>von Richard Mosse. Einer immersiven Videoarbeit, die die gegenwärtig stattfindende Umweltkatastrophe am Trans-Amazonas-Highway portraitiert und dabei versucht, über die (leider) schon allzu bekannten Bilder und Geschichten vom brennenden Regenwald hinauszugehen, das Geschehen in Bilder zu fassen, die die Dimensionen der Vernichtung transparent machen und sowohl Mikro- als auch Makrosystemebene erfassen. </p><p>Auf vier Leinwänden nebeneinander erzählt <i>Broken Spectre </i>zum geloopten Score von <i>Once Upon a Time in the West</i> von den Rinderzüchtern im Dschungel - und der Kontext verweist uns auf die Vorgänge in Nordamerika Mitte des 19. Jahrhunderts, als dort die Pioniere die Prärien urbar machten, der <i>Run</i> auf freie Weideflächen begann und gleichzeitig <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2015/01/john-williams-butchers-crossing.html?q=ars+electronica">die letzten Bisonherden</a> (die der indigenen Bevölkerung als Lebensgrundlage dienten) vernichtet wurden. Wir sehen, wie Dschungel brandgerodet wird und Mosse verwendet dafür 35 mm Schwarzweiß-Infrarot-Film - was zur Folge hat, dass die Flora intensiv weiß erstrahlt, Kühe und Menschen in zartem Grau, während die Augen wie schwarze Kohlen in den Höhlen glimmen. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg02LUmslNkf9JV6yKg_z-Z90XVbE5EVGeYaHA7UZaySUpPe6jXd7pLHYSUWjG8O_DZMas9JyZQjWimpuXgym_L8DmYLtpWRidKm-4-mgCh3LeVndQYdErJvGS74E8XFpw7Usu50Eg2cbl-Yaa6xZUukGX_t2KMLXScfVOn-OjXWpks6kdPE3HXZEKOweEP/s2000/broken-spectre_still_Amazonas.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Kind im Dschungel" border="0" data-original-height="1000" data-original-width="2000" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg02LUmslNkf9JV6yKg_z-Z90XVbE5EVGeYaHA7UZaySUpPe6jXd7pLHYSUWjG8O_DZMas9JyZQjWimpuXgym_L8DmYLtpWRidKm-4-mgCh3LeVndQYdErJvGS74E8XFpw7Usu50Eg2cbl-Yaa6xZUukGX_t2KMLXScfVOn-OjXWpks6kdPE3HXZEKOweEP/w640-h320/broken-spectre_still_Amazonas.jpg" title="Credits: Richard Mosse, Broken Spectre, 2022, Film still © Richard Mosse, Jack Shainman and Carlier Gebauer" width="640" /></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><span face=""IBM Plex Sans", "Helvetica Neue", Arial, sans-serif" style="background-color: white; color: #333333; font-size: 11.008px; font-style: italic; text-align: right;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span face=""IBM Plex Sans", "Helvetica Neue", Arial, sans-serif" style="background-color: white; color: #333333; font-size: 11.008px; font-style: italic; text-align: right;">Credits: Richard Mosse, Broken Spectre, 2022, Film still © Richard Mosse, Jack Shainman and Carlier Gebauer</span></div><p>Ohne Unterschied zwischen Mensch und Tier - und im nächsten Moment werden Rinder widerwillig durch mittels Gestänge begrenzte Gänge getrieben, die schwarzen Augen verdreht und weiße Panik leuchtet uns entgegen. Ein schmaler Durchlass, Fixierung von links und rechts, ein Bolzenschussapparat von oben. Die Tiere werden aufgehängt, gehäutet, zerteilt, ausgeweidet. Der Westernscore ist einem dunklen Dröhnen gewichen, so als ob man inmitten einer Maschine sitze. - Selbst Teil davon wäre. </p><p>Die <i>Westernstory </i>mappt Mosse mit Luftaufnahmen einer Multispektralkamera, um an Hand der Bilder den Zustand und die Zerstörung des Regenwalds zu dokumentieren. Neben den gerodeten Flächen leuchtet in orange-rot der Wald, so als ob er sein Schicksal schon vorausahnen könnte. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjIA-hUBA9NeusJEirPPWG4J-CtGgnLyiNDB4GMmdnJGBXpOhGPhx1PJuBVTCE9ACup7nRV9JH4A4GLV9nGGXsooF-GVqP13yNbNfo9OEx00cUCmUAuhYepEg-tWOMookRSSpByRPUDJz8vTtwKj-ayPCc8RREA-U9HxfYbuQS_8XKZQxN4lzpy1mPpHOnA/s2000/broken-spectre_still_Multispectral-GIS-aerial-02.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Rodungen im Regenwald" border="0" data-original-height="1000" data-original-width="2000" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjIA-hUBA9NeusJEirPPWG4J-CtGgnLyiNDB4GMmdnJGBXpOhGPhx1PJuBVTCE9ACup7nRV9JH4A4GLV9nGGXsooF-GVqP13yNbNfo9OEx00cUCmUAuhYepEg-tWOMookRSSpByRPUDJz8vTtwKj-ayPCc8RREA-U9HxfYbuQS_8XKZQxN4lzpy1mPpHOnA/w640-h320/broken-spectre_still_Multispectral-GIS-aerial-02.jpg" title="Credits: Richard Mosse, Broken Spectre, 2022, Film still © Richard Mosse, Jack Shainman and Carlier Gebauer" width="640" /></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span face=""IBM Plex Sans", "Helvetica Neue", Arial, sans-serif" style="background-color: white; color: #333333; font-size: 11.008px; font-style: italic; text-align: right;"><br /></span></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span face=""IBM Plex Sans", "Helvetica Neue", Arial, sans-serif" style="background-color: white; color: #333333; font-size: 11.008px; font-style: italic; text-align: right;">Credits: Richard Mosse, Broken Spectre, 2022, Film still © Richard Mosse, Jack Shainman and Carlier Gebauer</span></div><p>Die Makro-Qualität und Statik der Luftbilder kontrastiert Mosse mit Mikroskop-Aufnahmen in UV-Licht mit drei Sekunden Belichtungszeit. Und vor unseren Augen ersteht eine Welt ähnlich der von James Cameron in <i>Avatar</i> fantasierten - mit dem Unterschied, dass sie real ist und sich nur über wenige Quadratzentimeter Urwald erstreckt. Und wie im <i>Avatar</i> die Na'vi ihre Heimat Pandora gegen die rohstoffräubernden Planetenstürmer von Mutter Erde zu verteidigen versuchen, folgt Mosse' Schwarz-Weiß-Kamera den Yanomami and Munduruku bei einer Demonstration, wo Landrechte für die indigenen Gemeinschaften und das kategorische Verbot von Rodungen eingefordert werden. Wir sehen eine junge Frau bei ihrem Tanz und ihrer Anklage, die sich unter anderem auch gegen das Filmteam richtet - denn was würde die hundertste Dokumentation des Unrechts nutzen, der tausendste Besuch von Wissenschaftlerinnen, die abertausenden mitleidigen Kommentare, wenn an den Strukturen nichts verändert würde? </p><p>Daran muss ich denken, als ich im Sesselkreis sitze und höre, dass schließlich nicht jeder eine Bohrmaschine besitzen müsse, dass man diese auch verleihen könne, dass eine Maßnahme wie diese strukturell schon etwas ändere. Und es ist genau dieses Gefühl, das mein Besuch bei der diesjährigen Ars Electronica hinterlässt, es ist eines der Ohnmacht angesichts dessen, was eigentlich getan werden müsste. </p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-13393796689686946782023-06-05T07:12:00.005+11:002023-06-05T07:12:52.453+11:00Die Einsamkeit am Swimmingpool oder Morbus Hysteria<p>Im <a href="https://www.derstandard.at/story/3000000124820/pool-land-oesterreich-immo-datengeschichte-plus-reportage-von-zof-aus-markersdorf-in-noe-wo-es-die-meisten-pools-pro-kopf-gibt-plus-artikel-von-bere-ueber-die-poolscham-und-die-frage-wie-klimaschaedlich-sind-pools" target="_blank">Wochenend-Standard</a> lese ich, dass sich im Burgenland inzwischen in geschätzt jedem dritten Garten eines Einfamilienhauses ein Swimming-Pool befindet. Was unter anderem dazu führte, dass der Burgenländische Wasserverband einen <i>Poolbefüllkalender</i> entwickelte, um damit zu verhindern, dass ein simultanes Befüllen zum Zusammenbruch der Wasserversorgung in der Region führt. - Wo man früher gemeinsam ins Freibad ging, wo man Handtuch an Handtuch auf der Liegewiese verbrachte und aus den Becken und von den Springtürmen und Rutschen das johlende Geschrei enthemmter Kinder und Jugendlicher gellte, ist jetzt bleierne Stille eingekehrt. Die Becken sind abgebaut, die Liegewiese bleibt unbelegt. Stattdessen sitzen die Leute in ihren von mannshohen Thujen-Hecken begrenzten Gärten und tauchen mitunter die Füße in den eigenen Pool. Früher sei ein privater Pool die Ausnahme gewesen, sagt Christian Portschy vom Wasserverband Südliches Burgenland. Heute stelle sich jeder seinen Pool zu Hause auf. <i>Dadurch ist etwas zusammengebrochen. </i> </p><p>Was mich an das neue Stück von Martin Gruber und dem <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search/label/aktionstheater">aktionstheater ensemble</a></i> denken ließ: <i><a href="https://aktionstheater.at/produktionen/morbus-hysteria" target="_blank">Morbus Hysteria</a></i>, heißt es und - <i>wir haben alle recht</i>. Wir sehen fünf Personen, drei Frauen und zwei Männer, auf einer nachtschwarzen Bühne. Auf den Vorhängen Waldmotive, mitunter der Schatten eines Fuchses. - Und ich habe dieses Hänsel-und-Gretel-Gefühl, wie ausgesetzt und mit sich allein gelassen arbeiten sie sich an sich selbst und den anderen ab, versuchen einander zu überzeugen und -reden, in welche Richtung gegangen werden müsse (metaphorisch gesprochen), machen sich über den/die andere/n lustig, drohen, schreien, küssen einander - und bleiben dabei stets allein. Nur wenn die Musik einsetzt, wird gemeinsam getanzt, Marionetten-gleich marschiert, von links hinten nach rechts vorn und umgekehrt. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhyIcsTKznjxgfUpPjUUjbfucRwykQD4jFRGD50LaUBA8lOWfEPhsyF94IAdUtPbY2GvCZoyuTGeDZM4xp0X4_dBMDDXA8qq2bAbBjPwcV7_821FxbZCDHApwMNBzCR7ED0tIPVImJ9lWxQxhgwIe6oUw5o1QRaLa5-7rxJTwicnMBLlc-Zt1bpe-7Bxw/s1280/230531-1613-948-0900-437742-morbus-hysteria-wir-haben-alle-recht.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="856" data-original-width="1280" height="428" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhyIcsTKznjxgfUpPjUUjbfucRwykQD4jFRGD50LaUBA8lOWfEPhsyF94IAdUtPbY2GvCZoyuTGeDZM4xp0X4_dBMDDXA8qq2bAbBjPwcV7_821FxbZCDHApwMNBzCR7ED0tIPVImJ9lWxQxhgwIe6oUw5o1QRaLa5-7rxJTwicnMBLlc-Zt1bpe-7Bxw/w640-h428/230531-1613-948-0900-437742-morbus-hysteria-wir-haben-alle-recht.jpg" width="640" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">© Gerhard Breitwieser</div></span><p>Während die Inhalte über die geredet wird, dabei so zufällig scheinen wie die Figurenzusammenstellung. Man kennt einander, bleibt aber immer distanziert genug. So als ob sich um jede und jeden eine Bubble legte, rund und schwarz wie jene Gymnastikbälle, die das einzige Dekor im Bühnenraum geben: Man ist geschützt und nichts kann verfangen, keine Beleidigung, kein verächtlicher Kommentar, keine Ohrfeige, kein Kuss, kein Grapschen. </p><p>In einem <a href="https://www.falter.at/zeitung/20230523/es-ist-wichtig-und-gut-reinzuscheissen" target="_blank">Interview</a> mit dem <i>Falter</i> sagt Martin Gruber: <i>Es geht nicht darum, "richtig" und "falsch" zu klären, sondern um die Temperatur. </i>Demnach - Theater als Thermometer - und die Frage, wie lang noch bis zum Überkochen. Und die sich damit unmittelbar anschließende: Was muss passieren, damit es zum Überkochen kommt?</p><p>Was mich wiederum an eine Fernsehserie denken ließ, die ich vor Kurzem sah: <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt14403178/?ref_=nv_sr_srsg_0_tt_7_nm_1_q_beef" target="_blank">Beef</a>. </i>Erzählend von einem Handwerker, der als <i>One-Man-Show</i> sein Auskommen für sich und seinen <i>kleineren </i>Bruder in Los Angeles finden möchte und gleichzeitig versucht ein Haus für seine Eltern zu bauen, damit diese ihren Lebensabend in den USA bei den beiden Söhnen verbringen können. Dieser Handwerker stößt beim Ausparken mit seinem Pickup-Truck auf einem Parkplatz beinahe mit einem brandneuen SUV zusammen, gesteuert von einer Frau, die eben versucht ein recht erfolgreiches Pflanzengeschäft an eine Milliardärin zu verkaufen, um endlich mehr Zeit für ihre kleine Tochter zu haben, die bis dato beinahe ausschließlich vom kunsttöpfernden Mann betreut wird. Was eine Randnotiz hätte sein können, ein Vorfall, der im nächsten Moment schon wieder vergessen hätte sein können, wächst sich zum existenziellen Zweikampf aus - und damit zur Notwendigkeit sich selbst ins rasende Antlitz zu schauen. </p><p>Am Ende des Stücks intonieren Nadine Abado, Andreas Dauböck und Pete Simpson <i><a href="https://youtu.be/WTE28YU_FrY" target="_blank">Macht kaputt, was euch kaputt macht</a></i> von Ton Steine Scherben, und die im Wald Verirrten schreien Marken- und Konzernnamen in die Dunkelheit, von Billa bis Spar, von H&M bis Zalando, von Exxon bis Shell - und ich stelle mir vor, wie ein Burgenländer seinen Swimming Pool zertrümmert. Und bin mir nicht sicher, ob er sich nachher weniger allein fühlt.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-8300438437971086202023-02-27T02:10:00.003+11:002023-02-27T02:15:19.405+11:00Ihr tanzt, wir brennen - über The Menu, Triangle Of Sadness und The White Lotus<p>In Wien ging nach zwei freudlosen Jahren wieder der Opernball über die Staatsopernbühne - und (spaßbremsende) Klimaktivist:innen nutzten den Prominentenauflauf für ihren Protest.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiM3EmPzLd5XP2kL2Y6PMvFuWSrMx4WhiHbMicQ3WYRL05Yqdml_9KypYGGKh9HxP2LSxtEPC1IRsqxu3b_LPaKhBRzprDJtNHGd5cVACBhAxp0IwCpfSNHG_lwQJyDubgFv69nICmVXa_5snHfVIksd-ZhfZ7dHDmQMu13eveOoPZu2Ug7ZnePk9kEDA/s1024/52693259049_bf2b08d655_b.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="683" data-original-width="1024" height="426" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiM3EmPzLd5XP2kL2Y6PMvFuWSrMx4WhiHbMicQ3WYRL05Yqdml_9KypYGGKh9HxP2LSxtEPC1IRsqxu3b_LPaKhBRzprDJtNHGd5cVACBhAxp0IwCpfSNHG_lwQJyDubgFv69nICmVXa_5snHfVIksd-ZhfZ7dHDmQMu13eveOoPZu2Ug7ZnePk9kEDA/w640-h426/52693259049_bf2b08d655_b.jpg" width="640" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">(c) System Change not Climate Change</div></span><p>Ein Mann im Frack, mit weißem Schal und Zylinder bleibt kurz vor den Demonstrierenden stehen und kommentiert: <i>"Ihr brennt aber sowieso, auch wenn wir hier nicht tanzen."</i> (Wohl überlegte Worte angesichts eines Februars, der durchschnittlich um zehn Grad wärmer war als üblich.) </p><p>Dieser Logik folgend müsste ergänzend gesagt werden: <i>Am Ende werden wir alle brennen. </i>Brennen wie jene gut betuchten Besucherinnen und Besucher im <i>Hawthorn</i>, die der Einladung des Starkochs Julian Slowik (Ralph Fiennes) in Mark Mylods <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt9764362/?ref_=fn_al_tt_1" target="_blank">The Menu</a></i> gefolgt sind. Lokalisiert auf einer Privatinsel, zugänglich ausschließlich für handverlesene Gäste. Das servierte Menü, ein individuell zugeschnittenes Erlebnis samt kathartischen Ritus. Der <i>Chef de Cuisine</i>, ein Zeremonienmeister. Die Zeremonie, nichts weniger als die <i>Erlösung</i>. </p><p><i></i></p><blockquote><i>So once again - thank you for dining with us tonight. You represent the ruin of my art and my life, and now you get to be a part of it. Part of what I hope is my... masterpiece. And now our final dessert course is a playful twist on a comfort food classic: The s'more. The most offensive assault on the human palate ever contrived. Unethically sourced chocolate and gelatinised sugar water imprisoned by industrial-grade graham cracker. It's everything wrong with us, and yet we associate it with innocence. With childhood. Mom and dad. But what transforms this fucking monstrosity is fire. The purifying flame. It nourishes us, warms us, reinvents us, forges and destroys us. We must embrace the flame. We must be cleansed. Made clean. Like martyrs or heretics, we can be subsumed... and made anew. I love you all!</i></blockquote><p></p><p>Wäre es im herkömmlichen Klassenkampfschema noch damit getan gewesen, die Herrschenden ihrer <i>gerechten</i> Strafe zuzuführen, wird die Struktur in unserer Dienstleistungsgesellschaft durchlässiger, die Beziehungen <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2019/12/parasites-der-parasit-als-sozial.html">symbiotischer</a>: Ohne den einen, keine andere. Was bleibt, ist die totale Auslöschung, der Versuch das System auf Null zu stellen. </p><p><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/10/burgerliches-trauerspiel-wann-beginnt.html">Ruben Östlund</a> entführt uns in <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt7322224/?ref_=nv_sr_srsg_2" target="_blank">Triangle Of Sadness</a> </i>zusammen mit einer Handvoll sehr Vermögender auf eine Yacht, präsentiert uns die Reichen und Schönen in all ihrer Antipathie und Ignoranz, umschwänzelt vom Personal, dessen Aufgabe es ist, jedem und jeder jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und - so das nicht gelingt - im Falle der Äußerung, ad hoc zu erfüllen (koste es, was es wolle), um dann die Yacht zu versenken und die Schiffbrüchigen auf einer Insel stranden zu lassen. Dort avanciert die ehemalige Toilettenmanagerin Abigail (Dolly De Leon) zur machtvollsten Person unter den Gestrandeten: da sie imstande ist, sowohl Feuer zu machen, als auch Fische zu fangen. Herr und Knecht tauschen die Plätze. Der Kapitalismus bleibt. </p><p></p><blockquote><i>Freedom in capitalist society always remains about the same as it was in ancient Greece. Freedom for slave owners.</i></blockquote><p></p><p>Wo Julian Slowik, der <i>Chef de Cuisine</i>, einen Strich unter seine Karriere - und also sein Leben (und gezwungenermaßen unter das aller Beteiligten) - zieht, die eigene Monstrosität nicht länger beschönigt, sondern sich selbst eingesteht - </p><p><i></i></p><blockquote><i>I am a monster. No, was a monster. And a whore. But tonight, everything I'm doing is pure. Egoless. And at last, the pain is almost gone.</i></blockquote><p></p><p>und damit seine Gäste in die (für sie) unangenehme (weil ungewohnte) Situation zu versetzen, ebenfalls ehrlich zu sein, zeichnet Östlund in <i>Triangle Of Sadness</i> eine verkehrte Welt bar jedes symbolischen Kapitals. </p><p>Quasi ins Epizentrum jeglicher Dienstleistung lokalisiert Mike White seine Serie <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt13406094/?ref_=nv_sr_srsg_1" target="_blank">The White Lotus</a></i>: in Staffel 1 in einem Luxus-Ressort in Hawaii, in Staffel 2 in Sizilien. Vom Hotelpersonal, das präsent sein soll, ohne aufzufallen, das austauschbar sein muss und trotzdem spezifisch, das die Gäste ernst nehmen soll, aber nicht wörtlich, bis zu assoziierten sehr intimen Dienstleistungen, die zwar passieren sollen, aber nicht dürfen. Mike White zeichnet eine Kaleidoskop von sehr begüterter US-amerikanischer Bevölkerung, das Urlaub auf <i>der Insel</i> macht. Und anschließend wieder abreist. Und dazwischen dürfen wir am Luxusleben der Reichen partizipieren, an den mehr oder weniger großen Dramen, die uns recht unverblümt vor Augen führen, dass die Gefühlswelten von reichen Menschen, sich nicht erheblich von unseren unterscheiden. Und die Identifikationsmaschine brummt und führt nicht unbedingt dazu, dass wir uns mit dem Personal identifizieren. - Aber es ist immer gut, gelacht zu haben. Was wiederum der Grund dafür ist, dass eine Veranstaltung wie der Opernball als TV-Event taugt: wir tanzen nicht - aber wir brennen auch nicht.</p><p></p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-46703215469269884012023-01-20T04:56:00.002+11:002023-01-20T05:00:23.343+11:00Stephan Lessenichs gesellschaftlicher Nervenzusammenbruch, Gregor Sailers Unseen Places und The Banshees of Inisherin<p>Der Soziologe Stephan Lessenich meint im <a href="https://www.derstandard.at/story/2000142593777/soziologe-lessenich-spaetestens-seit-corona-liegen-die-nerven-blank" target="_blank">Interview</a> mit dem Standard, dass unsere Gesellschaft im Zuge der Pandemie den letzten Rest <i>Normalität</i> verloren hätte. Was ironischerweise der Tatsache geschuldet war, dass es nicht länger möglich schien, sich vor bestimmten <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/11/realitaten-wenn-ich-der-seite-von.html">Realitäten</a> - wie den Auswirkungen der Pandemie oder des Ukrainekrieges - abzuschotten und unsere Gesellschaft an den Rand des Nervenzusammenbruchs führte. Das Erfolgsrezept <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2022/05/zu-klimarat-und-ukrainekrieg.html">Verdrängung</a></i> scheint angesichts der massiven Einbrüche von Realität immer weniger zu funktionieren und ein neues Rezept wurde noch nicht gefunden bzw. verschrieben, die politische Verschreibe-Instanzen sind noch unschlüssig wie aus dem Schlamassel am besten (und also populistischsten) heraus zu navigieren wäre, ohne dass unsere <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2018/08/warum-es-angebracht-ist-im-bezug-auf.html">Lebensweise</a> komplett auf den Kopf gestellt werden muss. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiKDyIl-uk2GiSnR4RoaH7kkJszycZk1pnJUPdlCJtD40ITi992XoEG6YvxSe5j5GfplewZr9Akk7BdOMhkjeH4gA0VCEU8rRw_YAjFF2MmCHShnDQgNKWlg3q7t_D_17QU5UaQMRVFAjEL9AtM4_RwFX2A3RApRSusD7aMWIi-iYyj_p-oaRtfaZekPw/s737/Unsee_Places_Serien_Potemkinvillage_Sweden_.max-1220x465.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="465" data-original-width="737" height="405" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiKDyIl-uk2GiSnR4RoaH7kkJszycZk1pnJUPdlCJtD40ITi992XoEG6YvxSe5j5GfplewZr9Akk7BdOMhkjeH4gA0VCEU8rRw_YAjFF2MmCHShnDQgNKWlg3q7t_D_17QU5UaQMRVFAjEL9AtM4_RwFX2A3RApRSusD7aMWIi-iYyj_p-oaRtfaZekPw/w640-h405/Unsee_Places_Serien_Potemkinvillage_Sweden_.max-1220x465.jpg" width="640" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">Gregor Sailer, Aus der Serie Potemkinsche Dörfer</div></span><p>Was sich angesichts der im <a href="https://www.kunsthauswien.com/de/ausstellungen/unseen-places/" target="_blank">Kunsthaus</a> ausgestellten Arbeiten (<i>Unseen Places</i>) von Gregor Sailer durchaus anböte: Wenn <i>unsere Lebensweise </i>zur Folge hat, dass z.B. in den USA, Deutschland, und Frankreich ganze <i>Potemkinsche</i> Städte für das Militär aufgebaut werden, um dort das neueste Kriegsgerät im Häuserkampf zu testen, oder in Aserbaidschan, Russland und Qatar <i>Closed Cities </i>errichtet werden, wo modernes Arbeits-Sklaventum betrieben wird, um maximalen Profit durch die Ausbeutung der dortigen Bodenschätze (bei größtmöglicher Ignoranz hinsichtlich umweltzerstörerischer Folgen) zu garantieren, oder der fortschreitende Klimawandel die Aussicht auf eine <i>arktische Seidenstraße</i> schon in naher Zukunft sehr realistisch erscheinen lässt und folglich insbesondere militärische Anlagen reaktiviert und teilweise neu errichtet werden - man könnte schon auf die Idee kommen, dass es möglicherweise besser wäre, <i>alles</i> auf den Kopf zu stellen. </p><p>Als exemplarisch, für dieses Auf-den-Kopf-stellen, ließe sich das von Martin McDonagh in <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt11813216/" target="_blank">The Banshees of Inisherin</a></i> skizzierte Szenario verwenden: Man nehme zwei Männer, gute, vielleicht beste, Freunde, der eine vielleicht 40, der andere gut zehn Jahre älter, die tagaus tagein ihre immergleiche Routine leben, bis der ältere, von einem Tag auf den anderen, scheinbar ohne jeden logisch sich abzeichnenden Grund, diese Routine bricht - und also auch die Freundschaft. Die Konsequenzen entwickeln sich dramatisch. Und am Ende ist <i>alles </i>anders. </p><p>Stephan Lessenich meint, dass eine Folge des dräuenden gesellschaftlichen Nervenzusammenbruchs die überall und immer spürbare Gereiztheit ist, von wüsten Diskussion rund ums Maskentragen über die zum Religionskrieg ausartenden Debatten rund um die Diskrepanz von <i>Gender</i> und biologischem Geschlecht bis zu den Todeswünschen für Jugendliche, die Straßen wegen der Klimakatastrophe blockieren: Man wünschte sich fast, dass die <i>Freund</i>schaft endlich aufgekündigt wird. </p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-14666090157442818022022-09-14T01:29:00.005+11:002022-09-16T01:23:17.245+11:00At the Waiting Room - Zur Ars Electronica 2022<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiY5Z6XCyNsLDfTWX8ghYWagLrQuJcLhQNfRbQyJC7ALX2sNKattpRTyWqnEZLDuj1w0zROa7h5rfv9wHcTkSlvYTRj_HEdnGrGnee2zyEvGDW_9wlP_eJhairrvxEIgP9SIazxs61PtCtB9I7oAgy6YXwCnAFIhsjqjuXxkZu3bBObZkVs_sKa0OqXLA/s1561/ars_for_nons.PNG" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Plexiglaskubus mit Steckvorrichtung für Smartphone und Raspberry Pi" border="0" data-original-height="1021" data-original-width="1561" height="418" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiY5Z6XCyNsLDfTWX8ghYWagLrQuJcLhQNfRbQyJC7ALX2sNKattpRTyWqnEZLDuj1w0zROa7h5rfv9wHcTkSlvYTRj_HEdnGrGnee2zyEvGDW_9wlP_eJhairrvxEIgP9SIazxs61PtCtB9I7oAgy6YXwCnAFIhsjqjuXxkZu3bBObZkVs_sKa0OqXLA/w640-h418/ars_for_nons.PNG" title="Ars for Nons" width="640" /></a></div><p>Während ich im <i>Waiting Room</i> (<a href="https://ars.electronica.art/planetb/de/ars-for-nons/" style="font-style: italic;" target="_blank">Ars for Nons</a>) sitze und mein Smartphone in einem <a href="https://youtu.be/zoKFhVqEXns" target="_blank">Plexiglaskubus</a> möglicherwiese von <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/11/blade-runner-2049-do-androids-dream-of.html">electric sheeps</a> </i>träumt, steht mehr als ein Drittel Pakistans in Folge des <i>außergewöhnlich stark ausgefallenen</i> Monsunregens unter Wasser und 33 Millionen Menschen sind ohne Unterkunft. Vor ein paar Tagen publizierte ein Team von Wissenschaftern im renomierten Science-Magazin, dass bereits 2030 vier Klimakipppunkte erreicht werden, <i>Points of no return</i>, führend zu Rückkoppelungen, die die Geschwindigkeit der Erderwärmung noch weiter beschleunigen werden. Vom <i>Waiting Room </i>sind es nur mehr ein paar Schritte bis zum Eingang zur Themenausstellung der diesjährigen Ars Electronica, <a href="https://ars.electronica.art/planetb/de/studiotopia/" target="_blank">STUDIO(dys)TOPIA – At the Peak of Humankind</a>, wo in Endlosschleife auf großer Leinwand <i><a href="http://the-intersection.io/" target="_blank">The Intersection</a> </i>läuft, ein Film, der in einer nahen Zukunft spielt und zeigt, wie die gegenwärtigen Krisen (Klima, Medien, Rassendiskriminierung, ...) eskalieren, zu totalem Chaos führen und dann ganz schumpeteresk einen Neuanfang einleiten, basierend auf Kooperation. - War das Festival letztes Jahr noch dem <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2021/09/uber-die-ewige-wiederkehr-des-gleichen.html?q=ars+electronica" target="_blank">New Digital Deal</a> </i>auf der Spur, ist es heuer die Mutter aller Krisen, die Klimakrise, der ein Hoffnungsnarrativ zur Seite gestellt werden soll. </p><p>Was notwendigerweise die Frage aufwerfen muss, wie ein so umfassender Paradigmenwechsel angestoßen werden kann: Wie vom alles durchdringenden, kapitalistischen Ausbeutungsregime (<i>The Interception</i>: <i>The tech industry is mining people like oil companies the planet.</i>) in eine Seinsweise gelangen, die das Miteinander zur Prämisse erklärt. - Mark Fisher hat das 2009 in seiner Flugschrift <i><a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Capitalist_Realism" target="_blank">Capitalist Realism: Is There No Alternative</a></i> zum Thema gemacht, indem er das Diktum Margaret Thatchers zur Frage umformulierte und dabei zur Einsicht gelangte: <i>it is easier to imagine an end to the world than an end to capitalism. </i></p><p>Es mangelt an der notwendigen Imagination, weil, so Fisher, der Kapitalismus die <i>ganze Welt</i> durchdringt und die Rahmenbedingungen für jegliche Art von Produktion - und also auch der Kulturproduktion - setzt. Auf den Punkt gebracht im Animationsfilm von <i><a href="https://totalrefusal.com/" target="_blank">Total Refusal</a>,</i> <i><a href="https://youtu.be/dK-RqTVWBSE" target="_blank">How To Disappear. Deserting Battlefield</a>. </i>Wo an Hand der Unmöglichkeit des Desertierens in einem Kriegsspiel auf exemplarische Weise gezeigt wird, dass Auswege dem System nicht immanent sind/sein können: <i>there is no way to leave the battlefield in battlefield.</i></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjx-rdiEeW-_KlM0xD--VJk5ETVwMt1jfN1_tm6X4sBTkJvU9GTykCRof39d4-khFltw2wgArt6EbT5Imc6QrMpGeJMBWeVr-lKOMEO8InaARf9eSOgmEuCdtA9bn1nqYx0U5y6D_9bZfQXRa1yhO0QcW-IDwZzXY93yr5qO1Hklte2MOZ2myAeKAx6LQ/s1557/how.PNG" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="649" data-original-width="1557" height="266" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjx-rdiEeW-_KlM0xD--VJk5ETVwMt1jfN1_tm6X4sBTkJvU9GTykCRof39d4-khFltw2wgArt6EbT5Imc6QrMpGeJMBWeVr-lKOMEO8InaARf9eSOgmEuCdtA9bn1nqYx0U5y6D_9bZfQXRa1yhO0QcW-IDwZzXY93yr5qO1Hklte2MOZ2myAeKAx6LQ/w640-h266/how.PNG" width="640" /></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Sind wir demzufolge verdammt dazu, das Schumpetersche Zerstörungswerk bis zum bitteren Ende durchzuführen und also gut beraten, wenn wir uns für die sich unweigerlich immer mehr erwärmende Welt entsprechend rüsten, wie es <i><a href="https://www.warmingplanet.org/" target="_blank">Tools for a Warming Panet</a></i> vorschlagen? Oder sollen wir besser Trost darin finden, dass wir - auch wenn wir dem sich erhitzenden Globus zum Opfer fallen werden - so wie der <a href="https://ars.electronica.art/planetb/de/tasmanian-tiger/" target="_blank">Tasmanische Tiger</a> für die Australier als Erinnerung auch für zukünftiges Leben präsent bleiben werden? Lebendiger als wir jemals waren?</div><p>Ich sitze noch immer im <i>Waiting Room, </i>der Cache meines Smartphones zeichnet seine Vorstellung von <i>Zukunft</i> in bunten Mustern an die Wand des Plexiglaskubus und ich erinnere mich an Laurie Andersons Worte, die sie gestern bei ihrer <a href="https://ars.electronica.art/planetb/de/visionary-pioneers-laurie-anderson/" target="_blank">Lecture</a> formulierte:</p><p><i></i></p><blockquote><i>I've chosen to be an optimist for one reason - simply because you'll have a better life. You'll be happier. You will have a happier life. (...) Happiness is a choice. (...) Of course there are a lot of sad things in the world and if you pretend that they are not existing, you are an idiot.</i> <i>But most important of all is, do not become sad yourself. </i></blockquote><p></p><p>Mit Laurie Anderson ließe sich demnach sagen: wir sind verdammt, wenn wir verdammt sein wollen. Und auch wenn sich das Gefühl von <i>Warteraum </i>angesichts der Katastrophen rund um den Globus aufdrängt, geht es darum, <i>wie </i>Zukunft gedacht werden kann. Weshalb es möglicherweise bei der Installation <i><a href="https://ars.electronica.art/planetb/de/ars-for-nons/" target="_blank">Ars for Nons</a> </i>gar nicht so sehr darum geht, ob es eine künstlerische Produktion für Nicht-menschliche-Wesen geben kann, sondern um den <i>Möglichkeitsraum</i>, der so etwas denkbar erscheinen lässt und dem Anthropozentrismus einen Plexiglaskubus entgegenstellt. Robert Musil spricht im <i>Mann ohne Eigenschaften </i>vom Möglichkeitssinn, den er als die Fähigkeit definiert, <i>alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist</i>. Was wiederum das Gefühl beschreibt, das mich beim Betrachten von <i><a href="https://totalrefusal.com/home/hardly-working" target="_blank">Hardly Working</a> </i>umfing: Wir sehen NPCs (Non-Playing-Characters) aus verschiedenen Videospielen bei ihren - für das jeweilige Spiel - zumeist irrelevanten Tätigkeiten, sie sind Staffage, Hintergrund, deren Aufgabe darin besteht, dem/der Spieler:in Normalität zu suggerieren. Wie weiland Sisyphos rollen sie bis in alle Ewigkeit den Stein bergan und sind damit laut Camus direktes Abbild des <i>modernen Menschen. </i>Und also <i>glücklich. </i>Womit sie den anderen Charakteren in den Spielen wahrscheinlich einiges voraus haben. Und womöglich auch denen, die diese Spiele spielen, dachte ich mir - und als ich mich wegdrehte, hatte ich das Gefühl, dass die Frau, die zuvor das immergleiche Stück Boden kehrte, ohne dass der Boden je staubfrei wird, in dem Moment, wo ich mich abwandte, mit dem Kehren aufhören würde. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjpAJmoccGm1sZPG8sEl09eDIUzFbd2F9I23TA66l5w2D1BXIbg4DQczSJgnrEfvm1twpODYOne8SU1j3LpOikH_wokwRuZjg7ewr99dCvHNErAODFQZLR6n9uuEiiTe-GNgjgDnCxxBUoOkMF-6Mm8CYknfqjfBCeWbI1D6RxeM5-IjV8CNLM5lRuyxw/s1920/strassenkehrerin2-1920x-q80.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1080" data-original-width="1920" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjpAJmoccGm1sZPG8sEl09eDIUzFbd2F9I23TA66l5w2D1BXIbg4DQczSJgnrEfvm1twpODYOne8SU1j3LpOikH_wokwRuZjg7ewr99dCvHNErAODFQZLR6n9uuEiiTe-GNgjgDnCxxBUoOkMF-6Mm8CYknfqjfBCeWbI1D6RxeM5-IjV8CNLM5lRuyxw/w640-h360/strassenkehrerin2-1920x-q80.jpg" width="640" /></a></div><p>Ich sitze im <i>Waiting Room, </i>mein Smartphone liegt in einem Plexiglaskubus und generiert Muster und Geräusche, die wiederum eine Vorahnung meiner Benutzung sind und ich bin mir nicht sicher, wessen Träume das zu guter Letzt sind. Würde mir jetzt ein Origami-Einhorn in die Hand gedrückt werden, wäre ich mir sicher. </p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-4491013542926402082022-07-08T02:44:00.002+11:002022-07-09T01:30:29.834+11:00Zur Erfolgsserie Yellowstone, zu Outer Range und was das mit Generationenverträgen zu tun haben könnte<p><i>Es gibt kein richtiges Leben im falschen</i>, heißt es in Adornos <i>Minima Moralia - und </i>daran musste ich denken, als ich kürzlich den Umweltwissenschafter Sebastian Helgenberger über seine Idee eines <i>Klima-Generationenvertrages </i><a href="https://www.derstandard.at/story/2000137014532/umweltwissenschafter-helgenberger-wir-brauchen-solidaritaet-zwischen-den-generationen" target="_blank">sprechen hörte</a>. Nachdem das Handeln von heute bestimme, wie die Realität von morgen aussehe, müsse - ähnlich dem <i>Generationenvertrag </i>für die soziale Absicherung von Pensionist:innen - <i> </i>ein Abkommen mit den älteren Generationen geschlossen werden, das dem Klimaschutz Priorität in politischen Entscheidungen einräumt und somit gewährleistet, dass die Zwei-Grad-Grenze eingehalten werden kann. Er verweist dabei, auf das <i>solidarische </i>Verhalten der jüngeren Generation während der Pandemie. - Und ich musste daran denken, wie wenig vom zitierten <i>solidarischen </i>Verhalten noch spürbar ist, während die nächste Virus-Welle im Anmarsch ist, täglich zehntausend und mehr neu Infizierte gezählt werden und der Epidemiologie Klaus Stöhr <a href="https://www.derstandard.at/story/2000137123597/epidemiologe-stoehr-zu-corona-das-allgemeinwohl-ist-nicht-gefaehrdet" target="_blank">sagt</a>, <i>das Allgemeinwohl ist nicht gefährdet. </i>Ein <i>Allgemeinwohl</i>, das die Vulnerablen gezielt nicht inkludiert. Der Kurzausflug in solidarische Gefilde führte uns direkt wieder zurück in unseren zunehmend sozialdarwinistisch ausgerichteten Kapitalismus. </p><p>Rund zehn Jahre nach der <i>Minima Moralia</i> schreibt Adorno in der <i>Negativen Dialektik</i>:<i> Wahrscheinlich wäre für jeden Bürger der falschen Welt eine richtige unerträglich, er wäre zu beschädigt für sie. </i>Und ich wäre geneigt zu antworten: <i>Nicht nur wahrscheinlich. Sicher. </i> <i> </i></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgYN2rfBYWABY1nf7zLOs4Jk5SgXcP_ufNT0QTouxEHgNarGQ5n-1SO_XRj8gDCPSfzlmMV0nHvV3yv7OLUthvB4GtYyKXNfnN0Q12zypGngjK3-fH5Yyc9HZ1rs8Wuj4Tih-tyTLhruv0SEHf49dbPri9Pgyco5oElOPCouQOe2w1QwFqCEy0iMhsICg/s697/yellow.PNG" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="399" data-original-width="697" height="366" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgYN2rfBYWABY1nf7zLOs4Jk5SgXcP_ufNT0QTouxEHgNarGQ5n-1SO_XRj8gDCPSfzlmMV0nHvV3yv7OLUthvB4GtYyKXNfnN0Q12zypGngjK3-fH5Yyc9HZ1rs8Wuj4Tih-tyTLhruv0SEHf49dbPri9Pgyco5oElOPCouQOe2w1QwFqCEy0iMhsICg/w640-h366/yellow.PNG" width="640" /></a></div><p>In <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search/label/taylor%20sheridan">Taylor Sheridan</a>s TV-Serie, <i>Yellowstone</i>, sagt John Dutton (Kevin Costner; ja genau jener, der mit den Wölfen tanzte), der Patriarch der über ein ganzes Tal in Montana gebietenden Ranch: </p><p><i></i></p><blockquote><i>No one has a right. You have to take a right. Or stop it from being taken from you. </i></blockquote><p></p><p>Nach seiner Frontier-Trilogie (<i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2016/02/sicario-im-land-der-wolfe.html">Sicario</a>, <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/06/hell-or-high-water-im-land-der-wolfe.html">Hell or High Water</a>, <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2018/03/wind-river-und-gods-country-im-land-der.html">Wind River</a></i>) macht sich Sheridan einmal mehr auf die Suche nach der a<i>merikanischen Identität </i>und dem, was vom <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/12/was-der-gurtel-mit-dem-wilden-westen.html?q=wilder+westen">Wilden Westen</a> </i>übrig blieb - und wie viel davon im Durchschnittsamerikaner/in der Durchschnittsamerikanerin noch etwas zum Schwingen bringt. Gemessen an der Publikumsresonanz muss angenommen werden, Sheridan traf mitten ins Schwarze: Amerika liebt seine Patriarchen, die - wenn die Zeit es verlangt - über Leichen gehen (und nicht nur sprichwörtlich), deren Welt(sicht) im Fall der Fälle nur schwarz und weiß kennt und die sich <i>immer</i> imstande sehen, zwischen richtig und falsch eine <i>messer</i>scharfe Linie zu ziehen. In der zwischen Neo-Western und TV-Soap angesiedelten Serie zeigt Sheridan den erbarmungslosen Kampf der Familie Dutton um <i>ihr</i> Land, das sie vor 150 Jahren den bis dahin ebendort ansässigen Ureinwohnern gestohlen haben. Ihre Widersacher sind größenwahnsinnige Immobilienentwickler, geldgierige Spekulanten, machtgeile Politiker, im Drogengeschäft verfangene, paramilitärische Milizen und schließlich der Leiter des Indianerreservats, der den Nachkommen jener von den Duttons vertriebenen Stämme ihren Ursprungsbesitz zurückgeben möchte. (Sheridan hat mit <i>1883</i> übrigens mittlerweile ein TV-Serien-Prequel vorgelegt, wo er die Geschichte erzählt, wie die Duttons zu ihrem Land kamen.) - Was auf den ersten Blick wie eine zur TV-Serie geratene Hochglanz-Broschüre des republikanischen Wertekatalogs wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als durchaus hinterfotziges Unterfangen: die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigte Familie ist <i>kaputt</i>; die Söhne vom Vater entfremdet, der eine Harvard-Absolvent und - wie sich heraus stellt - Adoptivkind, der andere posttraumatisiert von seinem Navy-Seal-Einsatz im Irak, verheiratet mit einer jungen Frau aus dem Reservat und mit den Werten seines Vaters auf Kriegsfuß, der dritte und älteste, derjenige, der die Ranch übernehmen soll, wird erschossen; die Tochter, Hedgefonds-Managerin, Alkoholikerin und misanthropisch; die Mutter, schon lange tot - was der Familie das Rückgrat kostete (wie es Beth, die Tochter, ausdrückt). Es geht demnach um den Erhalt einer <i>kaputten Familie</i> auf <i>unrechtens</i> erworbenem Land mit <i>allen </i>Mitteln (dass das Waffengewalt miteinschließt, muss wahrscheinlich nicht weiter ausgeführt werden) - und der dafür aufgesetzte <i>Generationenvertrag </i>wird naturgemäß mit Blut unterzeichnet (egal welcher Provenienz) und Vertragsbruch mit Tod geahndet. <i>Simple as that.</i></p><p>Kurz geschlossen mit dem Vorschlag Helgenbergers betreffend eines <i>Klima-Generationenvertrages</i> muss die Frage gestellt werden, <i>wie</i> die angestrebte Zukunft aussehen soll. Im Fall von <i>Yellowstone</i> bedeutet das, dass die Zukunft eine <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/07/mother-earth-angry-beast.html">fortgesetzte Gegenwart</a> zum Ziel hat (also jegliche Veränderung zu verhindern sucht und logischerweise ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen sein muss). Was mich zu einer weiteren zur Zeit laufenden US-amerikanischen TV-Serie bringt: Brian Watkins' <i>Outer Range. </i>Wieder bekommen wir einen Patriarchen, Royal Abbott (Josh Brolin), präsentiert, der seine Familie und <i>sein</i> Land (in diesem Fall wurde es ganz simpel erheiratet und befindet sich in Wyoming) vor den Unbilden der Zukunft schützen will. Sein Widerpart ist der Nachbar-Rancher Wayne Tillerson (Will Patton), der sich in den Kopf gesetzt hat (oder in selbigen gesetzt <i>bekam</i>), Royal die Weiden im Westen abzuluchsen. Und wieder ist die Familie, die der Patriarch zu beschützen gedenkt, <i>kaputt</i>: der ältere Sohn versehrt, weil ihn seine Frau von einem Tag auf den anderen ohne jegliche Erklärung sitzen lassen hat - trotz einer gemeinsamen, noch kleinen Tochter; der jüngere Sohn ahnt, dass die in Aussicht stehende Zukunft nicht unbedingt den eigenen Vorstellungen entspricht/entsprechen kann - sondern eben jenen des Vaters (des ehemaligen Rodeo-Superstars, in dessen Fußstapfen er getreten ist und die ihm seine eigene Zukunft und Gesundheit kosten könnten); und Royals Frau, die ihr Heil im Glauben sucht - und nicht findet (stattdessen findet sie ein totes Bärenjunges, dessen Tod sie nicht akzeptieren will; was wiederum dazu führt, dass sie die dazu gehörige Bärin töten muss). Und dann materialisiert sich von einer Sekunde auf die andere - just auf eben jener umfehdeten Westweide - eine Art <i>schwarzes</i> Loch (wobei ich mir nicht sicher bin, ob sich ein Loch materialisieren kann), oder <i>Wurmloch</i>, oder - richtiger - eine Art Raum-Zeit-Verzerrung, die imstande ist, die Geschichte in die Gegenwart zu holen, die Gegenwart zur Vergangenheit zu erklären und die Zukunft <i>offen </i>erscheinen lässt. Und nicht bloß als Fortsetzung der Gegenwart. Weshalb Royal die Existenz des Loches zu verheimlichen sucht, es zuzuschütten versucht, Dinge, Leichen, was-immer-sich-so-anbietet hinein schmeißt, selbst hinein <i>fällt</i>, allerdings die <i>Produktion</i> des Lochs nicht verhindern kann. </p><p>Was wiederum auf den <i>Klima-Generationenvertrag </i>bezogen bedeutet, wo Sheridan uns bei der Unterzeichnung des Vertrags beiwohnen lässt und gleichzeitig offensichtlich ist, dass der Vertrag nicht einmal das Papier wert ist, auf dem er geschrieben steht (womit er sich meines Erachtens nicht wesentlich von den <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/09/warum-ich-nicht-die-oko-wende-glauben.html">Pariser Klimazielen</a></i> unterscheidet), geht es Watkins genau um diese <i>Gleichzeitigkeit: die Gegenwart bestimmt die Zukunft und wurde von der Geschichte geformt. </i>Und der Versuch selbiges in ein <i>Bild</i> (bei einem <i>Schwarzen Loch</i> wäre es wohl sinnvoller von einem <i>Nicht-Bild </i>zu sprechen) zu bekommen. </p><p>In einem Gespräch mit Slavoj Žižek <a href="https://books.google.at/books?id=CJo8CgAAQBAJ&lpg=PT344&dq=gespr%C3%A4ch%20le%20monde%20zizek%20sloterdijk&hl=de&pg=PT344#v=onepage&q=gespr%C3%A4ch%20le%20monde%20zizek%20sloterdijk&f=false" target="_blank">sagte</a> Peter Sloterdijk, das sich die Krise unserer Kultur dadurch auszeichne, dass Kredite keine tragfähige Zukunft mehr zu eröffnen imstande sind, weil inzwischen Kredite aufgenommen werden müssen, um die früheren Kredite zu bedienen. Was zur Folge hat, dass das Versprechen auf Rückzahlung auf dem die Vertrauenswürdigkeit beruht, in eine Zukunft verlegt werden muss, die niemals eintreten wird. - Weshalb man zum Schluss kommen muss: vielleicht liegt das Problem des <i>Klima-Generationenvertrags</i> darin, dass es keine kreditwürdigen Vertragsparteien mehr geben kann.<i> </i></p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-83566033036106838282022-06-18T04:21:00.001+11:002022-06-20T00:21:26.325+11:00Sibylle Bergs #RCE - Nerdism is Heroism<p>Slavoj Žižek <a href="https://www.derstandard.at/story/2000135882260/angst-vor-einem-krieg-ohne-ende" target="_blank">schrieb</a> vor Kurzem, dass er davon ausgehe, dass die liberal-kapitalistische Ordnung Europas nur mittels <i>Heroismus</i> überwunden werden könne. Er schrieb das im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und der Unentschiedenheit Europas mit Putins Aggression umzugehen - angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas. Žižek vermeint in der Abkehr von russischem Gas die Möglichkeit eines generellen Umdenkens festmachen zu können, insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeiten, die der Klimawandel an die liberal-kapitalistische Weltordnung heranträgt. Und Žižek spitzt weiter zu: in der Ukraine findet die Konfrontation zweier Ideologien ihr Schlachtfeld - der westlich-liberale Kapitalismus auf der einen Seite, der Autoritarismus chinesisch-russischer Prägung auf der anderen. - Und beide müssten überwunden werden, um den folgenden Generationen eine noch halbwegs lebenswerte Welt zu überlassen. Also Hero:innen. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhQufbX6tZ26J-BG3OvUa5HONxkfuaeC4jdlhP89wBynrwxEuArWSWKo5PZ5u1S0DvoOEuBZG4K_DKsY2pQO-vhyAUrtds2lzXH0-CDg5Xwkhg9xP24SE3XzfClNUEkaoZuXTuRjI_c2FbPgYg3JMsSricSwbtFp3K3fyKhLaJyBQyuoQzlB_d0j6WRRw/s1920/1920px-Red_and_blue_pill.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1086" data-original-width="1920" height="181" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhQufbX6tZ26J-BG3OvUa5HONxkfuaeC4jdlhP89wBynrwxEuArWSWKo5PZ5u1S0DvoOEuBZG4K_DKsY2pQO-vhyAUrtds2lzXH0-CDg5Xwkhg9xP24SE3XzfClNUEkaoZuXTuRjI_c2FbPgYg3JMsSricSwbtFp3K3fyKhLaJyBQyuoQzlB_d0j6WRRw/s320/1920px-Red_and_blue_pill.jpg" width="320" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">By W.carter - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=34979655</div></span><p>Eine Vorstellung davon, wie diese im 21. Jahrhundert aussehen können (müssen?) liefert <a href="https://www.kiwi-verlag.de/sibylleberg-rce-remotecodeexecution" target="_blank">Sibylle Berg im zweiten Teil ihrer geplanten Trilogie, #RCE</a>, RemoteCodeExecution. Es sind jugendliche Nerds, Coder, sogenannte <i>Digital Natives</i>, die sich im Virtuellen eher Zuhause fühlen, als im Realen, denen reale Begegnungen unangenehm sind und Gespräche, die nicht einer bestimmten, für sie relevanten Sache zuordenbar sind, so fremd, wie <i>normalen </i>Menschen: <i>Code</i>. Eine - für <i>normale</i> Menschen - auf den Kopf gestellte Existenz: Anstatt die <i>blaue Pille</i> aus der Matrix zu schlucken und es sich in der komsumfrisierten Welt entsprechend einzurichten, schluckten sie die <i>rote </i>und können deshalb allem real Passierenden die passenden Code-Zeilen zuordnen, sind imstande alle Verflechtungen und Interaktionen zwischen Politik, Ökonomie und Medien aufzulösen und in Code zu übersetzen. Und deshalb zu manipulieren. Was bedeutet, die Machtstrukturen der Gegenwart werden mit ihren eigenen Mitteln bekämpft: Mit tausenden Postkastenfirmen in der Karibik, die Kursmanipulationen durchführen können, mit Bot-Armeen, die die Stimmung in den Social Media hochkochen, mit Tor-Netzwerken, Apps und Deep-Fake-Videos. </p><p>Sibylle Berg skizziert ein <i>zukünftiges </i>Europa, das im Hier-und-Jetzt spürbar ist und sich in all seinen grausamen Ausformungen beinahe tagtäglich in den Nachrichten verfolgen lässt (es werden auch immer wieder gegenwärtige Vorkommnisse in den Text eingeschleust) - von der totalen Kontrolle über die Bürger:innen bis zum endgültigen Triumph der Ökonomie über die Politik, während eine Krise die nächste jagt und die Menschen sich im Kampf um ihre nackte Existenz aufreiben, häuft das besitzende und finanzstarke Prozent absurde Reichtümer an. </p><p>Und es ist keine Erlöserfigur wie <i><a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Neo_(The_Matrix)" target="_blank">Neo</a></i>, die kraft ihrer Besonderheit, ihres <i>Ausgewähltseins</i>, imstande ist, die Revolution anzustoßen, sondern körperentfremdete Jugendliche, die am liebsten in ihren Wohncontainern vor Bildschirmen hocken und sich der konsumgeleiteten Welt möglichst umfassend entziehen wollen. Und: Die Realität ist keine Simulation. Weshalb die Hoffnungs-Erzählung denn auch zu einer ganz haptischen Revolutions-Gegenwart mit dem Untergang der Mächtigen führen muss - Explosionen, Platzpatronengeschieße (es darf keine Opfer geben!) und Vandalismus. </p><p>Ich klappte das Buch zu und hatte ein <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/01/true-detective-spes-contra-spem.html">ähnliches Gefühl</a> wie nach der letzten Folge der ersten Staffel von <i>True Detective</i>, wo der Polizist Rust Cohle (<i>I'd consider myself as realist, all right? But in philosophical terms I'm what's called a pessimist.</i>)<i> </i>seinem Partner Marty Hart am Ende auseinandersetzt, dass das Licht gegen die Dunkelheit siegen wird. Am Ende - da bleibt uns nur die <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/03/high-rise-nachdem-die-hoffnung.html" style="font-style: italic;">Hoffnung</a><i>.</i> Aber zuvor - da braucht es <i>Zerstörung</i>. Und also: Hero:innen.</p><p>Nachdem wir ja noch einen dritten Teil zu erwarten haben: William Gibson (ja, der <i>Cyberpunk</i>-Gibson) sagte in einem <a href="https://www.newstatesman.com/long-reads/2020/02/william-gibson-apocalypse-it-s-been-happening-least-100-years" target="_blank">Interview</a>, dass wir in einer inzwischen mehr als 100 Jahre dauernden Apokalypse leben und er denkt, dass das ganze Schlamassel wohl nur mit einer Weltregierung (so wie sie Gene Rodenberry für <i>Star Trek</i> entwickelt hat - übrigens folgendermaßen erklärt: <i>(...) came into existence in response to some grave, very near-potential species-wide planetary disaster</i>) zu lösen wäre. Wir sind gespannt, womit Sibylle Berg aufwarten wird.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-69065002531875432612022-05-21T23:15:00.006+11:002023-03-29T19:45:46.016+11:00Zu Klimarat und Ukrainekrieg: Schlachtfelder der Verdrängung<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjuXB-8h8d2DRAFJ5cg-XSYlYbXqPmr0DHee-TJIcDYMgX8p1wOEfZXvCIuLKRgNNKX7DDH-Gmjs7NHMOUMtrbqfE_p212cSTUSWTIvrLjOxlKNO7eMNFq9-MalJBmRp2CRJGw_l4LhMYvdZdE8upFR0I5c3z2jChS1Fnvj4vU33rOh33o0qHg3OU73iw/s4032/IMG_9209.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjuXB-8h8d2DRAFJ5cg-XSYlYbXqPmr0DHee-TJIcDYMgX8p1wOEfZXvCIuLKRgNNKX7DDH-Gmjs7NHMOUMtrbqfE_p212cSTUSWTIvrLjOxlKNO7eMNFq9-MalJBmRp2CRJGw_l4LhMYvdZdE8upFR0I5c3z2jChS1Fnvj4vU33rOh33o0qHg3OU73iw/w300-h400/IMG_9209.jpg" width="300" /></a></div><div style="text-align: center;"><span style="font-size: x-small;">(c) Manfred Bruckner</span></div><p>20. Mai, der Flieder blüht und die Pfingstrosen knospen, es duftet und summt geschäftig in den Sträuchern, tausende Schattierungen von grün, nur die frisch gemähte Wiese scheint vertrocknet und verbrannt, so als ob es schon Hochsommer wäre. Am Tag darauf lese ich, dass in Deutschland Tornados durchgezogen sind und in Spanien und Frankreich Rekord-Temperaturen gemessen werden. Am Vorabend hatte ich noch ein Gespräch mit einem Moderator des <a href="https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/klimaschutz/nat_klimapolitik/klimarat.html" target="_blank">Klimarats</a>, wo mit 100 zufällig und repräsentativ ausgewählten Bürger:innen Österreichs versucht wird, Maßnahmen zu erarbeiten, die der Staat in Sachen Klimaneutralität umsetzen sollte. Und kürzlich, so der Moderator, seien zu einem der Workshops Repräsentant:innen der Parteien eingeladen worden, damit die Kleingruppen ihre Vorschläge mit ihnen diskutieren können - und es sei erschütternd gewesen, wie wenig die Parteirepräsentant:innen vorbereitet gewesen wären, sie hätten keine Ahnung und auch Vorstellung gehabt, was ihre Partei Substanzielles gegen den Klimawandel unternehmen wollen würde, Floskeln und Ausreden - und bei den Teilnehmenden des Klimarats Ernüchterung und Wut. Sie hätte sich noch nie so allein gelassen gefühlt, hätte eine Maturantin erzählt, so der Moderator, wofür seien diese Leute denn gewählt worden? Sie würden doch dem Volk ihre Stimme leihen sollen, oder? Und nicht bloß Stehsätze wiederholen... Es hätte sich inzwischen ein Verein gegründet, der die Ziele des Klimarats weiter verfolgen wolle, auch wenn sein Maßnahmenkatalog ans Parlament übergeben worden sei und seine Aufgaben damit erledigt. Man werde versuchen weiter Druck auszuüben, schließlich müsse jetzt doch endlich etwas passieren.</p><p>Slavoj Žižek <a href="https://www.derstandard.at/story/2000135882260/angst-vor-einem-krieg-ohne-ende" target="_blank">schrieb</a> vor Kurzem, dass er davon ausgehe, dass die liberal-kapitalistische Globalisierung Europas nur mittels <i>Heroismus</i> überwunden werden könne. Er schrieb das im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und der Unentschiedenheit Europas mit Putins Aggression umzugehen - angesichts der ökonomischen Abhängigkeit von russischem Gas. Žižek vermeint in der Abkehr von russischem Gas die Möglichkeit eines generellen Umdenkens festmachen zu können, insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeiten, die der Klimawandel an die liberal-kapitalistische Weltordnung heranträgt. Und Žižek spitzt weiter zu: in der Ukraine findet die Konfrontation zweier Ideologien ihr Schlachtfeld - der westliche, liberale Kapitalismus auf der einen Seite, der Autoritarismus chinesisch-russischer Prägung auf der anderen. </p><p><i></i></p><blockquote><i>Wenn Europa den neuen ideologischen Krieg gewinnen will, muss es sein Modell der liberal-kapitalistischen Globalisierung ändern. Alles andere als ein radikaler Umbruch wird scheitern und die EU in eine Festung verwandeln, umgeben von Feinden, die entschlossen sind, ihre Mauern zu durchbrechen und sie zu vernichten.</i></blockquote><p>Nachdem die Ukraine (und also das ukrainische "Volk") es vorgezogen hat, nicht nach ein paar symbolischen Gefechten mit dem (scheinbar) übermächtigen Feind zu kapitulieren, sondern auf Gedeih und Verderb weiter zu kämpfen - und es damit den Europäern unmöglich gemacht hat, nach ein paar Momenten der Entrüstung und der offiziellen Verurteilung der militärischen <i>Operation</i> zum Business as usual zurückzukehren und Gas zu importieren wie bisher, bleibt Europa im Grunde nichts anderes übrig, als sich selbst zu befragen, wer und was es in Zukunft sein will. Und um diese Frage beantworten zu können, muss man sich zuallererst mal klar darüber sein, wer oder was man ist. Fragen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel ebenso akut relevant sind und einer Beantwortung harren. Demnach ein Paradigmenwechsel, der beide Problemstellungen in Richtung Lösung befördern könnte. </p><p><i>Könnte</i> - ein Konjunktiv, der seiner Indikativisierung harrt.<br />Mit dem Moderator des Klimarats habe ich dann spät abends noch darüber gerätselt, warum so wenig Entrüstung und Bestürzung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen hinsichtlich der Klimakrise zu spüren ist. Wir tippten beide auf Verdrängung. (Was wahrscheinlich für den Ukraine-Krieg ebenso zu vermuten ist.)</p><p></p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-75511441501112494002022-02-02T01:39:00.003+11:002022-02-02T01:39:39.550+11:00Wenn das Unding zum Ding wird - über Adam McKays Don't Look Up<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhNf-jOcfh_a3-T2-Vs3ZOBzaFTQoAv2UgdFiZC94vOSkJfhTJ5leBrZEVxYs5ETLXr8_JgKif1a7h9hOAJNdFE7YbqP1Oif-hqm1AWzhNl-HEQZM9Q2p9e8EwW-Cyacy9pemR9sH-fDNL2tjHZ3d5NA1w67zfVUBkdsGTXKxWOZSxQ7IysSmb6APyo3w=s353" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="353" data-original-width="250" height="372" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhNf-jOcfh_a3-T2-Vs3ZOBzaFTQoAv2UgdFiZC94vOSkJfhTJ5leBrZEVxYs5ETLXr8_JgKif1a7h9hOAJNdFE7YbqP1Oif-hqm1AWzhNl-HEQZM9Q2p9e8EwW-Cyacy9pemR9sH-fDNL2tjHZ3d5NA1w67zfVUBkdsGTXKxWOZSxQ7IysSmb6APyo3w=w264-h372" width="264" /></a></div><br /><p>Kürzlich habe ich ein <a href="https://www.philomag.de/artikel/byung-chul-han-die-welt-hat-sich-ganz-nach-uns-zu-richten" target="_blank">Interview</a> mit <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search?q=byung-chul+han">Byung-Chul Han</a> gelesen, in dem er davon spricht, dass die <i>Digitalisierung die Welt entdingliche</i>, dass die Dinge ihrer Substanz verlustig gingen, wenn sie <i>informatisiert </i>und also zu <i>Undingen</i> werden. Das hat mich an Adam McKays Gesellschaftssatire <i>Don't Look up</i> erinnert, die im Grunde genau umgekehrt funktioniert: der drohenden (Klima-)Katastrophe (als das <i>Unding</i> schlechthin) wird ein sehr handfestes <i>Ding </i>zugeordnet - nämlich ein Komet in der Größe des Himalayas, der sich aus der Oortschen Wolke löste, auf die Erde zurast und von der Studentin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence), der die zweifelhafte Ehre zukommt, dem Kometen ihren Namen zu leihen, entdeckt wird. Fortan begleiten wir sie und ihren Doktorvater Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) dabei, der US-amerikanischen Regierung - und mit ihr der US-amerikanischen Bevölkerung - die Notlage begreiflich zu machen, kulminierend in einem Treffen mit der Präsidentin (Meryl Streep) und ihrem Stab im Oval Office, wo die beiden über ihre Entdeckung berichten. Die Rede kommt auf die Wahrscheinlichkeit, dass das <i>Worst-Case</i>-Szenario eintreten und die gesamte menschliche Zivilisation ausgelöscht wird - und Mindy, ganz gewissenhafter Wissenschaftler, sagt, zu 99,78%. Eine geringfügige und logische Varianz, die der Präsidentin und ihrem Stab dafür reicht, vorerst <i>nichts</i> unternehmen zu wollen (<i>sit tight and assess</i>) - und damit Dibiasky und Mindy in die Zwangslage versetzt, <i>alles</i> unternehmen zu müssen. </p><p>Als sich mit der <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search/label/klimawandel">Klimakrise auseinander setzender Mensch</a> muss man sich zwangsläufig an unzählige Studien erinnert fühlen, die darstellen, dass - um die gröbsten Verwerfungen am Erdenrund zu verhindern - es notwendig wäre, das (inzwischen zur leeren Worthülse gewordene) <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/1,5-Grad-Ziel#:~:text=1%2C5%2DGrad%2DZiel%20(auch%201%2C5,Jahre%201850%20bis%201900%20verwendet." target="_blank">1,5 Grad Ziel</a> einzuhalten. Und an die von politischer Seite immer wieder geäußerten Verweise, dass es ja durchaus Schwankungsbreiten gäbe, dass mit 100-prozentiger Sicherheit nichts gesagt werden könne, dass es Veränderungen im Klima immer schon gegeben habe und dass sich in <i>Wirklichkeit</i> das Klima gar nicht verändere (ich verzichte darauf, noch weitere der Unsinnigkeiten aufzuzählen, die in diesem Zusammenhang in die <i>Debatte</i> geworfen werden - ein berüchtigter US-amerikanischer Präsidenten-Berater prägte den passenden Ausdruck: <i>flood the zone with shit</i>). Nachdem das politische Geschäft immer auch ein mediales ist (was ja insbesondere im Wirken von <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2018/01/was-sebastian-kurz-barack-obama-und.html?q=sebastian+kurz">Sebastian Kurz</a> als österreichischer Bundeskanzler eine denkwürdige Dramatisierung bekam), führen derartige Infragestellungen wissenschaftlicher Erkenntnis notwendigerweise zum Zerbrechen von über die Gesellschaftsschichten hinweg konsistenten Realitätsübereinkünften und damit der Möglichkeit eines gemeinsamen Problembewusstseins. - Womit Adam McKays Komet zum in Hollywood-Dramaturgie übersetzten 1,5 Grad Ziel der Klimadebatte wird, entwickelt und benannt bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015. Seither wird - wie wir alle mehr oder weniger peinvoll erleben dürfen - der Zeit beim Verstreichen zugesehen (<i>sit tight and assess</i>) und Aktivist:innen versuchen <i>alles </i>um die notwendige Aufmerksamkeit zu erzielen. Und wo McKay Dibiasky und Mindy im Frühstücksfernsehen in Kometenfuror verfallen lässt (<i>I think. We're all. Gonna die!</i>), müssen wir von einem Teenager gesagt bekommen, dass wir doch <i>endlich </i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2019/03/fridaysforfuture-wieso-applaudieren-wir.html?q=panic">panisch</a> werden sollen. Und wir werden es natürlich nicht (schließlich haben <i>wir </i>noch 20, 30 Jahre Zeit - und dann erübrigt sich jede Gegenmaßnahme).</p><p>McKay operiert in seinem mit Fortgang der Handlung immer mehr zur Farce mutierenden Film (was ihn erstaunlicherweise um nichts weniger realistisch erscheinen lässt) mit dem schönen (titelgebenden) Bild, dass die US-amerikanische Präsidentin ihre Anhängerschaft auffordert, einfach nicht in den Himmel zu schauen - wo inzwischen der Komet schon mit freiem Auge erkennbar wäre (würde man hinschauen). <i>Don't look up!</i> Demgegenüber montiert er die <i>aufgeklärte</i> Gesellschaft, starren Blickes, <i>look up</i> skandierend, ein immer unabwendbarer scheinendes Schicksal ahnend.<i> </i>Und für einen kurzen Moment fühlte ich mich an Nietzsches berühmten Satz von <i>Jenseits von Gut und Böse </i>erinnert: <i>Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.</i> Aber dafür hätte aus der zur Farce geronnenen Satire dann auch noch ein Horror-Movie werden müssen.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-32801229275107196052021-11-23T06:59:00.001+11:002021-11-23T07:07:45.894+11:00Zur Impfgegner-Demonstration, Paul Flora und Jordan Peeles Us<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjdkhbicWI17xbo6PkCHJm-PXzAomxz_bhYRwNbcvZudRRu1iAAuTLRSqTOK8bPxSHuZms_PSSBTDcxQy4ib1kvd2fzck8pvsl4l0zzCldXLZmeDElLSwF1IEq0KZKBA6knBAYA5IR6GwAQ/s2048/IMG_9140.jpeg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Paul Flora, Alp- Traumlandschaft" border="0" data-original-height="1508" data-original-width="2048" height="295" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjdkhbicWI17xbo6PkCHJm-PXzAomxz_bhYRwNbcvZudRRu1iAAuTLRSqTOK8bPxSHuZms_PSSBTDcxQy4ib1kvd2fzck8pvsl4l0zzCldXLZmeDElLSwF1IEq0KZKBA6knBAYA5IR6GwAQ/w400-h295/IMG_9140.jpeg" title="Paul Flora, Alp- Traumlandschaft" width="400" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">(c) Manfred Bruckner, Paul Flora - Alp- Traumlandschaft</div></span><p>Während ich in der Albertina die <a href="https://www.albertina.at/ausstellungen/paul-flora-zeichnungen/" target="_blank">Paul Flora Personale</a> besuche, spazieren 40.000 Demonstrant:innen durch Wiens Straßen und skandieren Sprüche wie <i>Wir sind das Volk</i> oder <i>Widerstand. </i>Während ich die <i>Alp- Traumlandschaft</i> betrachte, marschieren Alt-Hippies neben strammen Rechten, ehemalige Waldorfschülerinnen neben oberösterreichischen Fabriksarbeitern, Familien, Seniorinnen und Teenager - gemeinsam demonstrieren sie in ihrer Einigkeit, dass sie in die österreichische Regierung wie auch in die <i>Mainstream</i>-Medien kein Vertrauen (mehr) haben, dass ihre Wirklichkeit eine gänzlich andere ist, als die von staatlicher und medialer Seite transportierte, dass sie der festen Meinung sind, dass das Virus bei weitem nicht so gefährlich und die Aufregung um überbelegte Spitäler übertrieben sei, dass die Impfungen einer <i>Hidden Agenda</i> folgen und man sich mit dem Entwurmungsmittel <i>Ivermectin </i>viel besser schützen könne. Ich stehe vor dem Bild und frage mich, ob ich in Paul Floras <i>Alp- Traumlandschaft </i>in der scharf begrenzten Idylle auf den Wolkenkratzern sitze, oder ein Apartment in selbigen habe. Und ich erinnere mich an eine Szene in <a href="https://www.imdb.com/title/tt6857112/?ref_=ttqt_qt_tt" target="_blank">Jordan Peeles <i>Us</i></a>, als die unheimlichen Doppelgänger ihren Weg ins kleinfamiliäre Paradies gefunden haben und der Kleinfamilienvater, Gabe (Winston Duke), sie zur Rede stellt, <i>Who are you people? </i>Und die Doppelgängerin seiner Frau, Adelaide (Lupita Nyong’o), antwortet: <i>We're Americans.</i> </p><p><i>Wir sind das Volk</i>, skandieren sie und sind dabei unsere <i>Schatten</i>, denen Corona erst die Möglichkeit gab, sich von uns zu lösen, ihr Gegenüber an/greifbar machte und ihre Mission zu einer (für sie) heiligen. Gleich zu Beginn von Peeles Film sehen wir Adelaide ausbüchsen und in ein Spiegelkabinett gehen, <i>Find yourself</i>, prangt in großen Lettern darüber und die Suche sollte nicht unbedingt Erfreuliches ans Tages- und eigentlich Nachtlicht befördern. <i>Le je n'est pas le moi, </i>heißt es bei Lacan, wenn er auf die Notwendigkeit hinweist, das imaginäre Ich ins Reale zu transferieren, sich selbst als soziales Wesen zu begreifen und seinen Narzissmus in die Schranken zu weisen. Eine Notwendigkeit, die in Zeiten von <i>sozialen Medien</i> und <i>alternativen Fakten </i>als Zwang erfahren wird, der <i>große Andere, Le grand Autre, </i>hat seine Macht verwirkt, Deutungshoheiten wurden <i>demokratisiert</i>.</p><p>Ich stehe vor Paul Floras <i>Alp- Traumlandschaft </i>und sowohl aus dem Fenster eines Häuschens in der Idylle als auch aus einem Fenster eines der Wolkenkratzer winkt mir mein Spiegelbild.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-67996994351508718012021-11-15T07:46:00.002+11:002021-11-15T07:48:32.868+11:00Wir sind der Horror: Zur COP26, Corona und zum zeitgenössischen Horrorfilm<p>Georg Seeßlen bemerkte <a href="https://www.zeit.de/kultur/film/2015-10/horrorfilm-kapitalismus-essay?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F" target="_blank">einmal</a>, dass der wesentliche Antrieb für die <i>Jungen Wilden</i> des amerikanischen <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search/label/horrorfilm">Horrorfilm</a>s der 70er (Wes Craven, Tobe Hooper, George A. Romero, etc.) ein schier bodenloser Zorn war, der sie alle, mit mehr oder weniger Erfolg, den Rest ihres Lebens beschäftigen sollte, um mittels ihrer Arbeit den eigenen Zorn zu verstehen. <i>Die Kunst des Horrorfilms besteht unter anderem darin, immer mehr von dem Zorn und von der Angst zu verstehen. </i>Waren es im Amerika der 70er die tatsächlichen und vermuteten Auswüchse des Kapitalismus, die die Horror-Narrationen befeuerten, sind es inzwischen neoliberale Gespenster, die uns in Furcht und Schrecken versetzen. - Um ganz willkürlich zwei zeitgenössische Film-Regisseure und deren Arbeiten heraus zu picken... wenn etwa Ari Aster in <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt8772262/?ref_=nv_sr_srsg_0" target="_blank">Midsommar</a></i> das Verhältnis Natur/Kultur an Hand einer Gruppe US-College-Studenten, die der Einladung eines schwedischen Kommilitonen folgend den Mitsommer-Aktivitäten in Schweden beiwohnen, analysiert, dann wird das Drama der Ablösung, der Übertritt von der Welt der Geborgenheit und des Urvertrauens in eine dämonische und zu jeder Verletzung fähige Erwachsenenwelt in eine vorderhand idyllische Szenerie transferiert, die sich nach und nach als grausamer präsentiert, als die US-amerikanische Wohlstandsgesellschaft (deren dunkle/verdrängte Seiten Ari Aster übrigens im Vorgängerfilm <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt7784604/?ref_=tt_sims_tt_i_1" target="_blank">Hereditary</a></i> thematisierte), der man sich via (Studien-)Reise zu entledigen suchte. Oder wenn Shawn Linden in <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt2226162/?ref_=fn_al_tt_1" target="_blank">Hunter Hunter</a> </i>eine sich in die kanadische Wildnis zurückgezogen habende Familie zeigt, die von der Jagd lebt und von <i>Raubtieren</i> heimgesucht wird, dann demonstriert er, dass die Grausamkeit zu der Menschen fähig sind, die von Tieren bei Weitem übersteigt. - Beide Filme funktionieren dabei nach dem Prinzip, vom Regen in die Traufe: eine <i>Versöhnung </i>kann nicht stattfinden, das sprichwörtliche <i>Happy End</i> lässt sich nicht mehr herstellen, da wir inzwischen selbst zu Monstern geworden sind. </p><p>Daran musste ich denken, als ich die Ergebnisse der <a href="https://ukcop26.org/" target="_blank">COP26</a> überflog, von <a href="https://twitter.com/michaelujacobs/status/1459798934566707201" target="_blank">einem Beobachter auf Twitter</a> treffend folgendermaßen kommentiert: <i>1.5C is alive but on life support</i>. Sehr bezeichnend auch jener Moment, als der Präsident der COP26, sich bei der Ankündigung der Ergebnisse der Verhandlungen <a href="https://twitter.com/lukas_hammer/status/1459615249632567301" target="_blank">die Tränen nicht mehr verkneifen kann</a>. <br />Allerdings nicht vor Freude.</p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiLOdtkEVfxjO5C3kttytZ01g8KJlAQG9FWfYB6ukLcYd7HroSUkjxvr1tZdUFbTwF0_qhEJ7MkCbaETbNDq0WdOeCgjjHB9iNCFgUg_gubc_-GH7xO9nSZJaYOswe0KqpCvuRiXoUUL21X/s551/better.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="551" data-original-width="540" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiLOdtkEVfxjO5C3kttytZ01g8KJlAQG9FWfYB6ukLcYd7HroSUkjxvr1tZdUFbTwF0_qhEJ7MkCbaETbNDq0WdOeCgjjHB9iNCFgUg_gubc_-GH7xO9nSZJaYOswe0KqpCvuRiXoUUL21X/s320/better.jpg" width="314" /></a></div><p><i style="font-style: italic;">But there is still hope</i><i>, </i>schreibt Michael Jacobs in seiner COP26-Nachbetrachtung - und ich muss dabei an <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/03/high-rise-nachdem-die-hoffnung.html?q=hoffnung">Terry Eagleton</a> und seinen Hinweis denken, dass Hoffnung<i> </i></p><p></p><p><i></i></p><blockquote><i>"anerkennen (kann), dass Verlust oder Zerstörung unvermeidlich sind - worin sie sich von einigen Spielarten des Optimismus unterscheidet -, und sich trotzdem der Kapitulation verweigern."</i></blockquote><p></p><p>Isolde Charim verwies in ihrer <a href="https://www.derstandard.at/story/2000131104276/isolde-charims-buch-wien-rede-die-querdenker-als-symptom" target="_blank">Eröffnungsrede zur Buch Wien</a> darauf, dass die Corona-Krise offenbart, dass die Demokratie angesichts des Totalereignisses der Pandemie (und also auch der sich etwas langsamer vollziehenden Klimakatastrophe) einen <i>neuen Mythos</i> braucht: Das via Demokratie fetischisierte Versprechen der individuellen Freiheit ist im Begriff seine Grundlage zu zerstören (Demokratie und Natur). Was Charim zum Schluss kommen lässt, dass wir einen neuen Glauben brauchen, nämlich einen, <i>der sich nicht auf die individuelle Freiheit beschränkt. </i>Was mich wiederum auf den zeitgenössischen Horrorfilm zurückwirft und die Frage: Was macht einen Menschen zum Menschen? <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2017/10/viennale-grave.html?q=Julia+Ducournau">Julia Ducournau</a> stellt sich in ihrem in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film <i>Titane</i> ebendiese Frage und zeigt eine junge Frau, Alexia (Agathe Rousselle), die als Kind als Folge eines Autounfalls eine Titanplatte in den Schädel eingesetzt bekommen hat, als Performerin bei Autoshows arbeitet und zu den vierrädrigen Boliden ein durchaus erotisches Verhältnis unterhält - der Todestrieb schlägt um in Sexualtrieb und umgekehrt. Was wiederum sehr zur Lebensverkürzung sich andienender menschlicher Sexualpartner:innen beiträgt. Um den daraufhin einsetzenden polizeilichen Ermittlungen zu entkommen, nimmt sie die Identität eines vermissten jungen Mannes an und landet bei seinem steroidabhängigen Vater (Vincent Lindon), der eine Berufsfeuerwehr kommandiert. Ihr zuvor ausschließlich als abwesend gezeichneter leiblicher Vater bekommt seine diametrale Gegenfigur im physisch äußerst präsenten, <i>falschen</i> Vater. Horror, so Georg Seeßlen, <i>das ist ein Film, der über die Unfähigkeit des Menschen meditiert, wegzusehen, wenn es um den Schrecken geht</i>. Wo Alexias leiblicher Vater sich dadurch auszeichnete, seiner Tochter keinen Blick zu schenken, hängen die Augen des Kommandanten förmlich an seinem wieder heimgekehrten <i>Sohn</i>, um nach und nach zu begreifen, dass - um Frieden zu finden - er sehen muss, was ist. </p><p>Ich fürchte, die Menschen werden noch allzu lange nicht sehen wollen, was ist.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-41543558869618347192021-10-28T06:19:00.002+11:002021-10-31T02:27:23.209+11:00Dune: Zum Unterschied zwischen Sebastian Kurz und Paul Atreides (Part Two)<p>Just als die <a href="https://variety.com/2021/film/news/dune-part-2-sequel-1235094974/" target="_blank">Meldung</a> durch die Nachrichten flirrt, dass <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2021/10/dune-zum-unterschied-zwischen-sebastian.html">Dune</a></i> tatsächlich eine Fortsetzung bekommen wird, steht der Beginn der <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2018/12/warum-ich-mir-nicht-erwarte-dass-es-in.html">Weltklimakonferenz</a> in Glasgow vor der Tür und der österreichische Bundespräsident <a href="https://www.derstandard.at/story/2000130741826/bundespraesident-verabschiedet-klimaaktivisten-nachglasgow-zurcop26" target="_blank">verabschiedet</a> eine Abordnung von Jungdelegierten in der Hofburg. Alexander van der Bellen - selbst stolze 77 - betont, dass der Jugend in der Klimakrise eine zentrale Rolle zufällt, <i>"Sie sind diejenigen, die diese Bewegung in Gang bringen, sie am Laufen halten und sie weiter beschleunigen". </i></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg-RGp5-4MHA2iUhldHmrAvu8RSdLAVhkI1Z1S3rl5IWjqo3J1K8QxDA4MUkVHngvpeoXIB1xI2zp_G2Cd1lKc6TUrfXTYwuRmQhZWNNA83SEPxhmwD9BviWTf3OzObHsToHdk6keE_kQ-r/s1230/paul.PNG" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Timothée Chalamet als Paul Atreides" border="0" data-original-height="903" data-original-width="1230" height="294" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg-RGp5-4MHA2iUhldHmrAvu8RSdLAVhkI1Z1S3rl5IWjqo3J1K8QxDA4MUkVHngvpeoXIB1xI2zp_G2Cd1lKc6TUrfXTYwuRmQhZWNNA83SEPxhmwD9BviWTf3OzObHsToHdk6keE_kQ-r/w400-h294/paul.PNG" title="Timothée Chalamet als Paul Atreides" width="400" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">Chia Bella James/Warner Bros.</div></span><p>Einer ähnlichen Ansicht schien Denis Villeneuve zugeneigt, als er Paul Atreides als zweifelnden, mit seinem Schicksal hadernden jungen Mann zeichnete, der einer moralischen Verpflichtung folgt, die das (Über-)Leben über den Profit und also das eigene Machtstreben stellt. Und wie von unserem Bundespräsidenten in Aussicht gestellt: Paul wird die <i>Bewegung</i> in Gang bringen und sie weiter beschleunigen - und am Ende werden wir ein befreites Arrakis sehen, einen beschränkten Abbau von Spice durch die Bewohner:innen des Planeten und eine daraus völlig veränderte Machtkonstellation im Universum. Was wir allerdings nicht sehen werden, ist ein Erfolg der Jugend bei der Weltklimakonferenz in Glasgow. Auch das ist sicher: Die Weltpolitik wird einmal mehr kein Einsehen haben, was notwendige und insbesondere drastische Eingriffe in die Wirtschaft angeht, es wird einmal mehr fromme Lippenbekenntnisse geben, es werden Zielvorstellungen formuliert werden, die einerseits viel zu kurz greifen und andererseits nicht einmal ernsthaft in Erwägung gezogen wird, selbige einzuhalten. Unser Arrakis, das wir Erde nennen, wird weiterhin geplündert werden - und der Messias den wir in Hollywood-Filmen anhimmeln, der würde in unserer Welt keine Wahl gewinnen. Da wird dann schon eher einem Sebastian Kurz vertraut, auch wenn er sich seine Wahlen erkauft und anschließend seine Macht missbraucht - und auch wenn gesagt wird, dass es jetzt vorbei sei mit ihm - ich gehe davon aus, dass es auch in der Kurz-Saga noch einen <i>Part Two</i> geben wird. </p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-70693052230154951092021-10-20T21:55:00.003+11:002021-10-28T06:17:10.608+11:00Dune: Zum Unterschied zwischen Sebastian Kurz und Paul Atreides (Part One)<p>Während Österreichs Erlöserfigur entzaubert und bekannt wird, welch unlautere Mittel er und seine Entourage angewandt haben, um die Obmannschaft in der ÖVP, die Kanzlerschaft in der Regierung und daraus folgend Spitzenpositionen in der Republik zu erbeuten, präsentiert uns Denis Villeneuve mit der Adaption von Frank Herberts <i><a href="https://www.imdb.com/title/tt1160419/?ref_=ttqt_qt_tt" target="_blank">Dune</a></i>, den Anfang einer <i>neuen</i> Erlöser-Saga. Noch bevor der Vorspann über die Leinwand läuft, wird die Geschichte des Wüstenplaneten Arrakis aus der Perspektive der Fremen-Kriegerin Chani (Zendaya) aufgerollt: Achtzig Jahre dauerte die Schreckensherrschaft des Königshauses Harkonnen an, die auf Befehl des Imperators (falls jemand ein Déjà Vu hat, ja, George Lucas hat hier einen Raubzug für seine <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search?q=star+wars">Star Wars</a> </i>getan) auf Arrakis den Rohstoff <i>Spice</i> abbauen - eine Art bewusstseinserweiternde Substanz, die hoch profitabel gehandelt werden kann, da sie die Grundlage für die Raumfahrt darstellt. Wir befinden uns im Jahr 10919, der Imperator entzieht den Harkonnen das Lehen auf Arrakis und übergibt selbiges an das Haus Atreides, Villeneuve überblendet den Anblick der Wüste mit den titelgebenden vier Buchstaben - und darunter steht zu lesen: <i>Part One</i>. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhaqCKSVYJtC0ZP_MU0zElh-6vr6aEjOh0X4oYLL-7IMp_EoBgrjT0EZ9E6aW96viheWhTnf53irI8K2e8TSagUllpevT5UpGVMj4X4b1SpZa3cMZJC8MZQQr-a1gEwNn0yttG61dHKdRAV/s828/alle.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Erklärung der ÖVP-Minister, dass sie nur unter Kanzler Kurz in der Regierung bleiben" border="0" data-original-height="638" data-original-width="828" height="309" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhaqCKSVYJtC0ZP_MU0zElh-6vr6aEjOh0X4oYLL-7IMp_EoBgrjT0EZ9E6aW96viheWhTnf53irI8K2e8TSagUllpevT5UpGVMj4X4b1SpZa3cMZJC8MZQQr-a1gEwNn0yttG61dHKdRAV/w400-h309/alle.jpg" title="Erklärung der ÖVP-Minister, dass sie nur unter Kanzler Kurz in der Regierung bleiben" width="400" /></a></div><p>Binnen ein paar Tagen wurde aus der türkisen Erfolgsgeschichte möglicherweise ein Kriminalfall, mit Sicherheit aber - eine Farce: Von Beschimpfungen einstiger Parteikollegen, über die Anstiftung zur Anfertigung von Umfragen, die gewollte Ergebnisse zeitigten, bis zur Publikation in willfährig gemachten Medien. Hieß zu Beginn die gewählte Verteidigungsstrategie noch, die Reihen dicht machen, einer für alle, alle für einen (<i>Ohne Sebastian Kurz gibt es keine ÖVP in der Regierung</i>), folgte dem steigenden medialen Druck der <i>Seitentritt</i>: Kurz trat aus Verantwortungsgefühl für die Republik zur Seite, um als Klub- und Parteiobmann auf seine Chance zu lauern, im Phönix-Kleid aus der Asche wieder aufzuerstehen. </p><p>Paul (Timothée Chalamet), der Prinz im Königshaus Atreides, wird vor der Abreise nach Arrakis von Gaius Helen Mohiam,<i> </i>der Äbtissin des Bene Gesserit Ordens (seine Mutter ist Mitglied des Ordens), auf die Probe gestellt und besteht. </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><p>Gaius Helen Mohiam:<i> You've proven you can rule yourself. Now you must learn to rule others, something none of your ancestors learnt.</i></p><p>Paul Atreides:<i> My father rules an entire planet.</i></p><p>Gaius Helen Mohiam:<i> He's losing it.</i></p><p>Paul Atreides:<i> He's getting a richer one.</i></p><p>Gaius Helen Mohiam:<i> He'll lose that one too.</i></p></blockquote><p>Arrakis soll sich für die Atreides als Danaergeschenk erweisen - der Imperator will sich so eines der aufstrebenden, großen Häuser im Imperium entledigen und ein Exempel statuieren. Während Villeneuve den jungen Prinzen als Zweifelnden zeichnet, der widerwillig zur Kenntnis nehmen muss, dass ihn das Schicksal für größeres vorgesehen hat, schließlich soll eine kolonialistische Ausbeutungslogik zu Fall gebracht und mit ihr die das planetare Klima negativ beeinflussende Abbaumaschinerie gestoppt werden, erleben wir mit Sebastian Kurz jemanden, der keine Zweifel zu kennen scheint und kein Bedauern aufkommen lässt - das gegelte Haupthaar trotzt jedem Sturm, die Fassade immun gegen jede Kritik. Konfrontiert mit den Vorwürfen wird darauf verwiesen, dass es strafrechtlich (noch) nichts zu beanstanden gibt. - Die moralische Dimension der Ereignisse kann jemanden bar jeder Moral per se nicht tangieren. </p><p>Und ich stelle mir vor - hätte Villeneuve Paul folgend dem Kurzschen Charakter geformt, dann hätte er sich den Harkonnen <i>kurzer</i>hand selbst zur Verfügung gestellt, um die Atreides auszulöschen und Arrakis zu unterjochen - freilich mit der <i>Hidden Agenda</i> den Baron (Stellan Skarsgård) zu ermorden (vielleicht im Auftrag des Imperators?) und am Ende Herrscher über das Imperium zu werden. - Und <i>Part Two </i>würde wahrscheinlich ganz anders aussehen.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-61395055815935042952021-09-20T02:57:00.003+11:002022-09-13T00:36:28.842+11:00Über die ewige Wiederkehr des Gleichen und damit die Unerheblichkeit dessen, was erzählt wird - zur Ars Electronica 2021<p>Während in Wien Donaustadt seit knapp einem Monat mittels eines <a href="https://fm4.orf.at/stories/3017975/" target="_blank">Protestcamp</a>s die Stadtautobahn und also der Lobautunnel zu verhindern versucht wird und ich mich an die Besetzung der Hainburger Au erinnert fühle, die sowohl den Kraftwerksbau abwenden als auch zur Initialzündung und Geburtsstunde der Grünen in Österreich werden sollte, sitze ich im <i>Zirkus des Wissens </i>der JKU zu Linz, vor mir auf einer Leinwand ein Animationsfilm, zeigend einen Mann asiatischer Herkunft, offensichtlich sehr nervös, ein Vorhang, der sich leicht im Luftzug bewegt, er lugt durch einen Spalt und dahinter ein gespannt auf seinen Auftritt wartendes Publikum, er gibt sich einen Ruck, steigt auf die Bühne, hinter ihm auf einem Sreen, das weithin bekannte TED-Logo, aufbrandender Applaus, und er beginnt leise, mit Tränen in den Augen, zu sprechen. </p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhWi1dj2IjaDTJr7fMivVyKbzOVhsmFBQ-qhpD7Xi4AmyXwYy2I4izhgSUSQ7n7HQyptMJI7G1DS_LroAaI90vN9kKgRxwiFAoEIHBMlxyZSNYgWnUwaBiNZBoWcq5T5kpEnf1H_fXCbsJ3/s486/TED_three_letter_logo.svg.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="179" data-original-width="486" height="118" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhWi1dj2IjaDTJr7fMivVyKbzOVhsmFBQ-qhpD7Xi4AmyXwYy2I4izhgSUSQ7n7HQyptMJI7G1DS_LroAaI90vN9kKgRxwiFAoEIHBMlxyZSNYgWnUwaBiNZBoWcq5T5kpEnf1H_fXCbsJ3/s320/TED_three_letter_logo.svg.png" width="320" /></a></div><p>Er hätte seinem besten Freund, dem er seine Flucht aus einem Arbeitslager in Nordkorea verdankt, versprochen, von den Zuständen ebendort zu berichten und also der vom offiziellen Nordkorea verbreiteten Darstellung betreffend die Lebensumstände die <i>Wahrheit</i> entgegen zu halten, zu erzählen von politischer Willkür, Folter, Zwangsarbeit, Mord und Totschlag - und vom Versuch trotz allem Mensch zu bleiben, weil sonst Hoffnung nicht möglich wäre. </p><p></p><p>Nach dem Screening von <a href="https://ars.electronica.art/newdigitaldeal/de/true-north-kepler/" target="_blank">Eiji Han Shimizus <i>True North</i></a> mache ich mich auf den Heimweg von der diesjährigen <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search?q=ars+electronica" target="">Ars Electronica</a>, drei Tage im Zeichen eines <i><a href="https://ars.electronica.art/newdigitaldeal/de/theme/" target="_blank">New Digital Deal</a>s</i> und der Suche nach der Narration, der selbigen vermitteln könnte, ein <i>New Deal</i>, der ähnlich der im ökologischen Kontext getrommelten Logik gegenüber der fossilen Industrie zuallererst darauf baut, dass die Macht der großen digitalen Player gebrochen werden muss. Beim ersten Panel des <a href="https://ars.electronica.art/newdigitaldeal/en/branch-magazine-symposium/" target="_blank">Branch Magazine Symposion</a>s am Freitag wurde auf den dem <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Solarpunk" target="_blank">Solarpunk</a> </i>inhärenten Optimismus verwiesen, freilich aus einer Perspektive, die - wie schon beim dystopischen Blick - hauptsächlich den nord-westlich-dominierten Denkweisen entspricht. <i>When you say, a sustainable future for us - who is 'us'?</i>, fragte <a href="https://www.luiza-prado.com/" target="_blank">Luiza Prado</a> und bekam leider keine Antwort. Andres Colmenares schlug <a href="https://ars.electronica.art/newdigitaldeal/de/branch-symposium-intercitizenship/" target="_blank">beim darauffolgenden Panel</a> als Lösung eine <i>Intercitizenship </i>vor, ein Zusammengehörigkeitsgefühl basierend auf <i>Mutter Erde. </i>Was ganz und gar nicht esoterisch gemeint war, sondern vielmehr als identitätsstiftendes Vehikel gedacht ist (im Sinne einer <i>Weltbürger:innenschaft</i>), möglich gemacht durch das Internet, als Prädisposition der gegenwärtigen Welt, die immer <i>online</i> ist (freilich ließe sich das auch als ausschließende Logik verstehen, da ja nicht die <i>ganze </i>Welt immer<i> online</i> ist, sondern nur ein privilegierter Teil davon). Dem Gedanken folgend, gäbe es keine notwendige Differenz zwischen dem Analogen und dem Digitalen, die Grenzen würden <i>zerfließen</i>. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgobkvsjdndUdrJ3ukV_3gxWfGe-SzfNkkkraNRoETeH-XTy9rXS2JfD75KjRHA7MzkCKQj2cgN2BDeMwwXgPxHMWVimU3I9NubmVd07G5dRQlZqmEfch2NhriPg_GggjH8xBZY012nLDfk/s2000/Made_To_Measure-05-Konrad_Waldmann.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Made_To_Measure-05-Konrad_Waldmann" border="0" data-original-height="1000" data-original-width="2000" height="200" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgobkvsjdndUdrJ3ukV_3gxWfGe-SzfNkkkraNRoETeH-XTy9rXS2JfD75KjRHA7MzkCKQj2cgN2BDeMwwXgPxHMWVimU3I9NubmVd07G5dRQlZqmEfch2NhriPg_GggjH8xBZY012nLDfk/w400-h200/Made_To_Measure-05-Konrad_Waldmann.jpg" title="Made_To_Measure-05-Konrad_Waldmann" width="400" /></a></div><p>Was wiederum das Thema von Arbeiten wie etwa <i>Made to Measure</i> der Gruppe Lakoon in der diesjährigen Themenausstellung war, die einen Doppelgänger einer ihr unbekannten Person nur auf Grund der vorhandenen digitalen Spur im Google-Universum schufen, oder des <i>Chiromancers</i> (Matthias Pitscher, Giacomo Piazzi), einer KI, die uns, nachdem wir unsere Hand aufgelegt haben, unsere Zukunft vorhersagt - wie in der <i>guten, alten Zeit</i>. (Und dass die <i>gute, alte Zeit</i> definitiv nicht (nur) gut war, bedarf wohl keiner weiteren Ausführungen.) <a href="https://twitter.com/ElizaTalks" target="_blank">Eliza Anyangwe</a> erinnerte beim <i>Intercitizenship</i>-Panel daran, dass es einen (vergleichbar) romantisierenden Umgang mit dem Süden (im Sinne von <i>global south</i>)<i> </i>und den dort mitunter noch praktizierten natur-affinen Lebensweisen gäbe - und damit einer Hoffnung das Wort geredet werden würde, dort Lösungen zu finden und also das neue <i>Utopia</i> (das immer schon eine Erfindung <i>alter, weißer Männer</i> war, wie <a href="https://isthisa.com/aboutme" target="_blank">Sarah Friend</a> betonte). Was wiederum daran erinnerte, dass das Internet einst ebenfalls als utopischer Raum herhalten musste. Doch das <i>Global Village</i> entwickelte sich im Zuge der <i>New Economy</i> zum Markt für <i>freien</i> Informationsaustausch, in dessen Zentrum eine gigantische Auktionsplattform (der Google-Algorithmus) montiert wurde, die dazu diente, Aufmerksamkeit zu monetarisieren. Mit Brecht gesprochen: die Revolution fraß (einmal mehr) ihre Kinder und heute dominiert eine Handvoll multinationaler Konzerne die im Digitalen wuchernden Märkte an Hand allzu bekannter ökonomischer Logiken. <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2019/09/uber-die-begrenztheit-des-menschen-und.html?q=ars+electronica">Vor zwei Jahren</a> plädierte deshalb der Ökonom und Kulturwissenschaftler Walter Ötsch bei der Konferenz zur Ars Electronica für die Entwicklung eines <i>digitalen Humanismus</i>, was mir damals schon - angesichts der dramatischen Zustände im Mittelmeer - eine nicht besonders erfolgversprechende Strategie schien und andererseits die Differenz zwischen digitaler und analoger Welt fortgeschrieben hätte. Mit dem Konzept der <i>Intercitizenship </i>wäre diese Schwierigkeit gelöst - allein es bleibt die Problematik der Durchsetzung humanitärer Anliegen (im globalen Maßstab) bestehen. Andres Colmenares verwies beim Schluss-Panel auf die Umbenennung des <i>Klimawandels </i>in <i>Climate Emergency</i>, was natürlich mehrere Fragen aufwirft und aufwarf: wer ist berechtigt einen Notfall auszurufen? Und hat das zur Folge, dass gehandelt wird? Angesichts der Flüchtlinge in Moria, der Ertrinkenden im Mittelmeer, der zurückgelassenen Helfer:innen der Afghanistan-Streitkräfte muss daran gezweifelt werden. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiOlvszInw99zPzUEPyYoprUBVCG0WOlah5210VMTeK35thoFPmaCIjsYlZUzuGK3HvFmzMo43byPIgkrjzNfSOVO6p83wkiJq16MNk6UT7GUKCZkdQLMloBorVclWx71mqGCHy_0UjyMd1/s500/preview.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Sreenshot Eric Oh Opera" border="0" data-original-height="500" data-original-width="500" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiOlvszInw99zPzUEPyYoprUBVCG0WOlah5210VMTeK35thoFPmaCIjsYlZUzuGK3HvFmzMo43byPIgkrjzNfSOVO6p83wkiJq16MNk6UT7GUKCZkdQLMloBorVclWx71mqGCHy_0UjyMd1/w400-h400/preview.png" title="Sreenshot Eric Oh Opera" width="400" /></a></div><p>Während der zwanzigste Jahrestag von 9/11 begangen wird und die USA wie auch ihre Verbündeten ihren Einsatz im <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2011/12/war-on-terror-tm.html">War on Terror</a></i> in Afghanistan für beendet erklären, Hals über Kopf ihre denkwürdige Wirkungsstätte am Hindukusch - wo angeblich die Demokratie verteidigt wurde (übrigens, das alle Menschenrechte ignorierende Lager in Guantánamo ist nach wie vor in Betrieb) - verlassen und die Bilder von Verzweifelten, die sich an den letzten Flugzeugen am Rollfeld des Flughafens von Kabul festkrallen, durch die Medien geistern und sich in meinem Kopf mit den grobkörnigen Schwarz-Weiß-Kamerabildern von Saigon 1975 vermengen, sitze ich im <i>Stellwerk</i> am Linzer Bahnhof und warte auf meinen Zug zurück nach Wien, der mir und der Welt laut Ticket rund 80 kg CO<span style="font-size: x-small;">2</span> erspart, eine Ersparnis übrigens, die neuerdings auf <a href="https://www.shell.at/autofahrer/shell-treibstoffe/co2-ausgleich.html#vanity-aHR0cHM6Ly93d3cuc2hlbGwuYXQvYXVzZ2xlaWNoZW4uaHRtbA" target="_blank">Tankstellen</a> selbst zuge<i>kauft</i> werden kann, wenn man den Sprit bezahlt, was mich wiederum an die Volte erinnert, als die fossile Industrie dem/der Endkonsument:in die <a href="https://in.mashable.com/science/15520/the-carbon-footprint-sham">Verantwortung</a> für ihren CO<span style="font-size: x-small;">2</span>-Fußabdruck in die Schuhe schob, was <i>nachhaltig</i> gelungen ist und mensch - so er/sie klimabewegt ist - sich seither um seine <i>Spur</i> sorgt und gegebenenfalls <i>Ablass</i> bezahlt und damit die Politik davon enthebt generell zu besteuern, was wiederum ganz und gar dem Geist unserer neoliberalen Zeit entspricht: Freiheit kann und darf nicht beschränkt werden, koste es, was es wolle (und wenn damit die Zukunft der nächsten Generationen beeinträchtigt oder gar geopfert werden sollte). Vor Eiji Han Shimizus <i>True North </i>war unter anderem <a href="https://calls.ars.electronica.art/prix/winners/5656/" target="_blank">Eric Ohs </a><i><a href="https://calls.ars.electronica.art/prix/winners/5656/" target="_blank">Opera</a> </i>zu sehen, eine Animation zeigend den Aufstieg und Fall einer Gesellschaft in einem nie aufhörenden Kreislauf, so als ob es unmöglich wäre aus der Geschichte zu lernen und die Menschheit dazu verdammt, die selben Fehler immer und immer wieder zu begehen.<i> It may make you laugh, feel sad, or sometimes disturb you. But we all know that that's all part of our life and who we are. </i></p><p>Wahrscheinlich ist dem so, denke ich mir und gehe zum Bahnsteig. Ganz egal, ob wir die Wahrheit erzählen oder nicht.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-42063769578389355352021-07-27T23:41:00.004+11:002021-07-29T07:48:26.526+11:00Über H.C. Artmanns Hunderter, das brandneue Literaturmagazin Über und die ewige Frage: was ist gute Literatur?<p>H.C. Artmann wäre heuer 100 Jahre alt geworden, weshalb ihm und seinem Werk <a href="https://sfd.at/h-c-artmann" target="_blank">in verschiedenster Weise</a> gehuldigt wird - u.a. am Samstag, den 31. Juli, wo - <a href="https://kultursommerwien.at/event/stefan-slupetzky-zum-100-geburtstag-von-h-c-artmann-ii-teil-1-2/" target="_blank">nachdem Stefan Slupetzky</a> aus seinen fiktiven Grabreden gelesen haben wird - zuerst <a href="https://kultursommerwien.at/event/rosa-pock-artmann-und-voodoo-juergens-mit-seiner-friedhofspoesie-klasse-der-schule-fuer-dichtung-zum-100-geburtstag-von-h-c-artmann-ii-2/" target="_blank">Rosa Pock-Artmann</a> eigene Texte vortragen und anschließend Voodoo Jürgens mit seiner <a href="https://sfd.at/programm/2020/gespenster-und-so" target="_blank">Friedhofspoesie-Klasse</a> (und also auch ich) den Stimmen der längst und unlängst Verblichenen einen Klangkörper verleihen wird. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjWHe_lX_1yfLka2CVQcVgn0qKL6qFQ_CfxaBbJvOI4N2ud9pB5zhoSqwYu3HnkxUe-_022nGyePzzdabUzhTbmytJW5Aa7e7GPOdZRqpF7JR0Moe6K2zXd8USSnHPnie4p5Pnbh5W1NKJM/s1154/Unbenannt.PNG" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="642" data-original-width="1154" height="223" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjWHe_lX_1yfLka2CVQcVgn0qKL6qFQ_CfxaBbJvOI4N2ud9pB5zhoSqwYu3HnkxUe-_022nGyePzzdabUzhTbmytJW5Aa7e7GPOdZRqpF7JR0Moe6K2zXd8USSnHPnie4p5Pnbh5W1NKJM/w400-h223/Unbenannt.PNG" width="400" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;"><a href="https://ueber.tv/episode-6/">https://ueber.tv/episode-6/</a></div></span><p>Als Protektions<i>kind</i> der <a href="https://sfd.at/" target="_blank">Schule für Dichtung</a> durfte ich auch für das <a href="https://www.derstandard.at/story/2000128400051/staffelfinale-der-literatursendung-ueber-folge-6-zum-thema-hoehepuenkt" target="_blank">Staffelfinale</a> der neuen Literatursendung <i><a href="https://ueber.tv/" target="_blank">Über</a></i> von Daniela Emminger und Nika Pfeiffer einen/meine/n literarische/n Höhepünkt/e beisteuern, allein - auf Grund der zeitlichen Einschränkungen blieb's beim <i>einerseits</i>. Weshalb ich hier das <i>andererseits </i>und also die ungeschnittene Version nachliefere.</p><p></p><blockquote><p><b>Was macht einen literarischen Höhepünkt aus?</b></p><p>Vielleicht lässt sich das - um beim <i>ü </i>zu bleiben - an der Ber<i>ü</i>hrung fest machen. Um ein Höhep<i>ü</i>nkt zu sein (oder zu einem zu f<i>ü</i>hren), so meine These, muss der Text <i>mich</i> ber<i>ü</i>hren. Was sich nat<i>ü</i>rgemäß verschieden anf<i>ü</i>hlen kann... je nachdem <i>wie </i>der Text das anstellen will.</p><p>Es gibt dieses Interview von <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2016/08/lisa-reardon-billy-dead-and-mercy.html">Lisa Reardon</a>, die - nachdem sie ihrem Vater in den Arsch und in die Beine geschossen hatte und verhaftet worden war - es kaum glauben konnte, dass sie - weil sie ihn verfehlt hatte - damit die Chance bekommen würde, noch einmal auf ihn zu schießen. </p><p>Ein Satz, der so in einem ihrer Romane stehen könnte - die ich allesamt empfehlen kann, <i>Billy Dead, Blameless & The Mercy Killers</i>… Reardon schreibt trockene, sehr direkte Prosa, die einem und einer nix erspart, für die Leut', die da gern Referenzen hören, Faulkner wird da gern herbei geredet, oder Raymond Carver… Carver hat übrigens irgendwann mal sinngemäß gesagt, dass alles was wir schreiben auf gewisse Weise autobiographisch ist… womit ich wieder beim Schuss in den Arsch des alten Herrn bin, <i>the old man</i> wie es im Amerikanischen heißt und dieses Gef<i>ü</i>hls, das sich beim Lesen von Reardons Büchern einstellt: das sind weitere Sch<i>ü</i>sse, nur zielen sie direkt ins Herz.</p><p>Ganz anders ber<i>ü</i>hrte mich (und berührt mich noch immer) <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2015/10/elizabeth-strout-olive-kitteridge-keine.html">Elizabeth Strouts <i>Olive Kitteridge</i></a> - wo Reardon scharf schießt, regieren bei Strout Subtilitäten… so ließe sich auch die Form begreifen, wenn Reardon hart begrenzt und recht geradlinig eine Story erzählt, dann erscheint mir das wie ein schwarzer Punkt, ein Einschussloch quasi… auf das am Ende alles zulaufen muss. - Wo bei Strouts Roman andererseits alles auseinanderfasert, in den 13 Geschichten gibt es kein klar definiertes Zentrum, sogar Olive selbst schlendert mitunter durch wie auf Besuch, gibt einen Kommentar ab, lugt rein, taucht alles in ein bestimmtes Licht... es gibt auch keine klar definierte Story, es gibt Aspekte, so wie Pinselstriche in einem impressionistischen Gemälde, die alle zusammen erst ein Bild abgeben, ein Gef<i>ü</i>hl herstellen… ein Gefühl übrigens, das Frances McDormand in der kongenialen <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2016/02/frances-mcdormand-ist-olive-kitteridge.html">Romanverfilmung von Lisa Cholodenko</a> richtiggehend verkörpert hat - vielleicht sogar noch eine Spur unversöhnlicher als in der literarischen Vorlage… </p><p>Á propos Unversöhnlichkeit: würde <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2018/01/was-sebastian-kurz-barack-obama-und.html">John Williams <i>Augustus</i></a>’ verfilmt werden, könnte ich mir für den alten, im Sterben liegenden Cäsar, der auf einem Schiff Richtung Neapel schippert und in einem Brief sein Leben resümiert, würde ich mir also diesen Augustus vorstellen, dann denke ich, dass Anthony Hopkins eine sehr schöne Besetzung wäre… wo bei Strouts <i>Olive Kitteridge</i> Unversöhnlichkeit regiert, ist John Williams’ <i>Augustus</i> bei Altersmilde angelangt - Williams lässt einen Augustus abseits von gewonnenen Schlachten und Kriegen, abseits von seiner welthistorischen Rolle und Funktion entstehen.... wieder sind es Nuancen, Tagebuchfragmente, Beschlüsse des römischen Senats, Entwürfe zu Autobiographien, teilweise historisch, teilweise samt und sonders erfunden… und am Ende sehen wir ein Gemälde, zeigend Anthony Hopkins. Oder auch nicht. - Es ist ja davon auszugehen, dass sich jeder und jede ihr eigenes Bild vom von John Williams beschriebenen Augustus malt...</p><p>Vor ein paar Jahren gab es in der Alten Schmiede ein Symposion zum Thema <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search?q=was+ist+gute+literatur">Was ist gute Literatur</a></i> und ich erinnere mich an Anna Mitgutschs Satz, dass der Text nicht bloß das ist, was er zu sein scheint… dass die literarische Fabrikation von Wirklichkeit und die vorhandene Wirklichkeit in einer Wechselbeziehung stehen und dass die sprachliche Reaktion auf die Wirklichkeit eine Art von Meta-Realität erschafft, die als Kunstwerk autonom wird und sich von der empirischen Realität löst, aber auch wieder nicht so weit, dass sie ganz und gar ohne die Referenz auf diese Wirklichkeit auskommen kann… womit sich für mich die Frage stellt: hatte Augustus tatsächlich eine Ähnlichkeit mit Sir Anthony Hopkins?</p></blockquote><p></p><div>Unlängst <a href="https://pop-zeitschrift.de/2021/06/28/der-neue-midcultautorvon-moritz-bassler-autordatum28-6-2021-datum/" target="_blank">feuerte</a> Moritz Baßler, <i><a href="https://www.tagesspiegel.de/kultur/literaturaesthetik-hinter-den-mauern-der-moral/27449048.html?fbclid=IwAR3u_CuYpa1Tn1AoFrcSiakRwSWpvddBm7YVEblP8TBjz3TJ0_FYI0grXZM" target="_blank">der Professor Pop unter Deutschlands Germanisten</a></i>, eine moderate Breitseite gegen den - womöglich dann doch ein bissl verallgemeinernden - <i>Murakami-Franzen-Schlink-Knausgård-Ferrante-Kehlmann-Komplex</i>. Der dominierende Zug im zeitgenössischen Erzählen sei im <i>populären Realismus</i> auszumachen, so Baßler, der Gemachtheit der <i>erzählten Welt</i> wird keinerlei Widerstand mehr entgegen gesetzt, die Illusion muss funktionieren, weil - unter anderem - der literarische Markt es goutiert. - H. C. Artmann hat der literarische Markt übrigens maximal hinsichtlich seines <i>Jahrmarkts</i>potenzials (postuliere ich hier ganz großkotzig) interessiert - und dass sein Schreiben <i>gute Literatur</i> zum Produkt hatte, muss nicht weiter ausgeführt werden. Weshalb sein Hunderter uns allen zumindest ein Vierterl Weiß wert sein sollte. Prost.</div>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-22326595689437406592021-06-18T22:02:00.000+11:002021-06-18T22:02:15.441+11:00Was die Kritiker:innen beim Bachmannpreis von den lonely ballads des aktionstheater ensemble mitnehmen könnten<p>Während in Klagenfurt der ehemalige Juryvorsitzende Hubert Winkels die Tage der deutschsprachigen Literatur <a href="https://bachmannpreis.orf.at/stories/3102245/" target="_blank">eröffnete</a>, feierten die <i>lonely ballads </i>des <a href="http://aktionstheater.at/" target="_blank">aktionstheater ensemble</a> ihre verspätete Uraufführung im <a href="https://werk-x.at/spielplan-karten/kalender/" target="_blank">Werk X</a> in Meidling. Während Winkels den Bedeutungsverlust der Literaturkritik im öffentlichen Diskurs zu analysieren und auf die durchaus spezielle Situation in Klagenfurt anzuwenden suchte, reflektierten im ehemaligen Kabelwerk vier Schauspieler:innen ihre Lebens- und also auch (mehr oder weniger explizit) Coronasituation. Während Winkels für das Format der <i>Wettleserei</i> und ihrer literaturkritischen Einordnung als <i>diskursive Zusammenführung von sieben Stimmen mit je eigenem Ton, unterschiedlichen Argumenten und unterschwelligen Bekenntnissen </i>in die Bresche sprang, hörten wir Isabella (Isabella Jeschke), Thomas (Thomas Kolle), Tamara (Tamara Stern) und Benjamin (Benjamin Vanyek) auf einer semitransparent abgeschlossenen Bühne dabei zu, wie sie nacheinander allein (gelassen) vor sich hin lamentierten, wütend waren, traurig waren, lachten, tanzten und sprangen, Straßenbahnstationen auswendig aufsagten, fest stellten, dass sie doch alle <i>bloß</i> wahrgenommen werden wollen (was sie ganz zweifellos mit den nominierten Autor:innen in Klagefurt gemein haben). Wie im Werk X die an den Seiten der Bühne stehenden Musiker:innen den Schauspieler:innen (mehr oder weniger unbewegt) lauschten, werden in den nächsten Tagen die Kritiker:innen den (virtuell) performenden Autor:innen zuhören und anschließend ihren jeweiligen <i>Entschlüsselungsversuch des Betriebssystems</i> des dargebotenen Texts in die Kritiker:innenrunde werfen, fast so wie die Akkorde und Songs, die die Musiker:innen ins dargebotene Schauspiel einwarfen, manchmal als Grundierung, manchmal als Kommentar, manchmal als Bekräftigung, manchmal, so schien es, als Essenz. - Und man wünschte sich, dass die Kritiker:innen in Klagenfurt einen ähnlichen Groove entwickeln würden wie die Musiker:innen, Witz, Ironie und Empathie, die die Schauspieler:innen beschützte, ihre Entäußerung naturnotwendig erscheinen ließ, alles erlaubte und also verzieh. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiiBQdPXmQTGbOKk0fW3nAcFUIVruTT0chJa9VCKLSxHpTzbllh3-VjHVX7FgmsiQDDYnIWg9Jz9UptMWQinXkDr4y45rZp5HCVD9wNeXGyJePXxTUWjq8aJOAXB4qvetjaI7o9up8YHm93/s2048/Thomas_Kolle_lonely_ballads_aktionstheater_ensemble+%2528c%2529+Gerhard+Breitwieser+%25286%2529.JPG" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1362" data-original-width="2048" height="426" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiiBQdPXmQTGbOKk0fW3nAcFUIVruTT0chJa9VCKLSxHpTzbllh3-VjHVX7FgmsiQDDYnIWg9Jz9UptMWQinXkDr4y45rZp5HCVD9wNeXGyJePXxTUWjq8aJOAXB4qvetjaI7o9up8YHm93/w640-h426/Thomas_Kolle_lonely_ballads_aktionstheater_ensemble+%2528c%2529+Gerhard+Breitwieser+%25286%2529.JPG" width="640" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">Thomas Kolle, lonely ballads (c) Gerhard Breitwieser</div></span><p>Nun sind die Zeiten in Klagenfurt mit <i>höchstrichterlichem Kritikergestus</i> durchaus vorüber, wie Winkels in seiner Eröffnungs<i>rede</i> diagnostizierte, jedoch sei gegenwärtig eine <i>Mikropolitisierung</i> vermittels <i>Kurzschaltung von privater und gruppenspezifischer Befindlichkeit mit universellen moralischen Ansprüchen</i> im Gange, die eine <i>Utopie des Zusammenfalls von ästhetischen Ausdrucks- und sozialen Anerkennungsverhältnissen</i> in Aussicht stelle - und diese Verknüpfung des Politischen mit dem Literarischen, so Winkels, habe eine sehr lange Tradition und sei vor kurzem erst von Jürgen Habermas in einem Essay, <i><a href="https://www.sueddeutsche.de/kultur/autoren-als-leser-wenn-alle-autoren-werden-1.4977931" target="_blank">Warum nicht lesen</a></i>, aufgegriffen worden. Ausgehend vom durch die Digitalisierung getriebenen Medienwandel konzediert Habermas darin, dass der diskursive öffentliche Raum Schaden nimmt, weil die Enthemmung der öffentlichen Rede durch den weitgehenden Wegfall der wissenschaftlichen oder journalistischen Filter- oder Kuratorenfunktion dazu führt, dass die Öffentlichkeit mit beliebigen und unqualifizierten Interventionen überschwemmt werden kann. </p><p>Während Winkels Habermas'<i> moralische Entgrenzung des Sagbaren</i> zitierte, hörten wir in Meidling Isabella dabei zu, wie sie darüber sinnierte, dass Corona uns allen mit den Lockdowns (gewissermaßen) einen <i>Anne Frank </i>Moment geschenkt hat, dass wir alle jetzt <i>besser</i> nachfühlen können, wie sich jene in ihrem Versteck - und also Gefängnis - gefühlt hat; dass sie - Isabella - sich jetzt besser einfühlen kann, so wie sie sich als Schauspielerin auch in den jungen Hitler einfühlen kann, nicht in den alten, weil das ginge sich aussehenstechnisch nicht aus, aber in den jungen, weil dem jungen Hitler, sei es ja nicht anders gegangen wie anderen Politiker:innen auch, er wollte bloß wahrgenommen werden - und das ist wiederum, wonach jede:r Schauspieler:in sucht: Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wofür sie - Isabella - schon mal <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/02/wege-aus-der-krise-heile-mich-oder-auf.html?q=heile+mich">bereit ist</a>, sich splitterfasernackt auszuziehen. Was im Publikum durchaus für Lacher sorgte, obwohl an Tragik kaum zu überbieten.</p><p>Was für den öffentlichen Raum gilt, sei laut Habermas für die literarische Öffentlichkeit nicht anwendbar, weil ein hierarchisches Gefälle zwischen Autor:in und Leser:in angenommen wird, das auf einer spezifischen Kreativität beruht, die es ersterer/ersterem ermöglicht, eine Erfahrung, die bislang nicht zur Sprache gebracht wurde (werden konnte), ins Bewusstsein zu heben. Während Winkels die Ausführungen Habermas' mit Genugtuung paraphrasierte, erzählte uns Tamara davon, dass Corona für sie im Grunde ein Geschenk des Himmels darstelle, weil sie damit der ständigen Händeschüttelei (und damit ihrem neurotischen Drang sich danach sofort die Hände zu waschen) entbunden worden ist, wie auch der unappetitlichen Abbusselei, die ihr schon immer komplett zuwider gewesen war, weil sie nämlich noch nie hat begreifen können, wie man Menschen, die man ja zumeist gar nicht wirklich mag, links und rechts die Wange hinstrecken kann, damit irgendjemand dort seine feuchten Lippen platziere, das sei ja überhaupt das letzte, aber natürlich dem österreichischen Wesen, dieser durch und durch unehrlichen und geheuchelten Kreatur, gewissermaßen angeboren. Während Tamara ihre jüdisch-deutsche Herkunft gegenüber dem Österreichischen in Stellung brachte, ortete Winkels in Habermas' Ausführungen betreffend Kunst eine quasi-<i>religiöse Erfahrung des Zusammenfallens von erhabener Darstellung und dem Rätsel des lebendigen Gottes</i>, getrennt durch die ästhetische Erfahrung der <i>ins Dingliche ragenden Schönheit der Gestalt der Sprache selbst.</i> Woraus Winkels eine Aufforderung an die Medienverantwortlichen im Allgemeinen und an die Zuständigen betreffend Bachmannpreis im Besonderen zimmerte, nämlich <i>die Zügel der publikumsorientierten pragmatischen Vernunft locker zu nehmen und den Feuilleton-Nomaden an den Grenzen der Plausibilität größere Freiheiten zu lassen</i>. Während Winkels damit der <i>André Rieu</i>-sierung des Kunstbegriffs wie auch der Kunstkritik (insofern selbige als Kunstform begriffen wird) entschieden entgegentrat, sangen die Musiker:innen zu Tamaras Abgang <i>The Future is Already Gone</i> und in uns hallten noch Fragmente ihrer Erzählung nach, wann sie welche Neurosen wie entwickelte, die Stelle auf dem Teppich in ihrem Kinderzimmer, wo sie immer wieder hin pinkelte, die Zurechtweisung ihrer Mutter, der Gestank und Franz, der Beamte hinter der Absperrung, der Tamara stumm zuhörte (zuhören musste) und so wenig Hilfe sein konnte, wie das grundsätzliche Bekenntnis glücklich sein zu <i>wollen</i>: <i>I Wanna Be Happy (Until I Die).</i> </p><p>Am Ende seiner Ausführungen entlieh sich Winkels Habermas' postulierte Kreativitätskompetenz, um sie für die Kritik ins Treffen zu führen. Als Expert:innen, was die Erzählung - das <i>Narrative -</i> betrifft, wären Kritiker:innen fähig das kleinste Detail in größeren Zusammenhang zu setzen, immer rekurrierend auf <i>vertraute interne Verknüpfungsregeln und eine dramaturgisch überwölbende Gesamtkonferenz</i>, alles zusammen würde erst jene <i>suggestive Kraft </i>entwickeln,<i> die jede biografische, gruppenbezogene oder nationale Erzählung</i> besitzt, und die jede<i> institutionelle Selbsterklärung und -rechtfertigung braucht, vom Börsengang bis zum religiösen Bekenntnis. </i>Während Winkels mit Habermas für eine lebendige Literaturkritik als <i>Narrationskritik</i> die Lanze brach, weil gesellschaftlich allzuständig - und damit zwingend auch für das genaue Gegenteil, <i>der attraktiven Für-nichts-Zuständigkeit</i>, fiel hinter Benjamin der Vorhang, nachdem dieser die Stationen der U1 durch dekliniert und uns erklärt hatte, dass er als Kind immer für sein Wissen um das Netz der <i>Wiener Linien</i> bewundert wurde, dass man ihn sogar zu <i>Wetten dass...</i> schicken wollte, dass sein Vater das <i>super</i> fand, so super, wie seine Mitschüler seine Lippen super fanden und dass die Gemeindewohnung, die er von der inzwischen verstorbenen Großmutter, die zu ihm immer lieb war aber die jüdischen und ausländischen Mitbürger:innen für alle Missstände in Wien und auf der Welt verantwortlich machte, übernehmen dürfe, er sie aber noch ein bissl putzen müsse, weil am Ende war sie dann inkontinent, die Großmutter und die Tauberln haben den Balkon voll geschissen. Der Vorhang fiel und alle traten vereint auf die Bühne, Schauspieler:innen, Musiker:innen, schließlich Regisseur und Dramaturg. Und wir klatschten wie verrückt, und alle verschwanden und dann kamen sie alle wieder und sie freuten sich ob unserer Freude und Akklamation - schließlich wollen ja alle <i>bloß</i> wahrgenommen werden.</p><p>Und möglicherweise wäre das auch ein gutes Ende für den Bachmannpreis, denke ich mir jetzt am Ende dieses kurzen Räsonnements über die <i>lonely ballads</i> und Winkels' Eröffnungs<i>rede</i> - und darüber hinaus: wäre diese <i>Rede</i> nicht schriftlich verfügbar gewesen, ich hätte den Ausführungen wahrscheinlich kaum folgen können.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-37910802062262422282021-04-04T02:14:00.001+11:002021-04-04T02:14:28.568+11:00Die Azteken im Weltmuseum, Geyrhalters Erde und die Frage wer wessen Haut trägt<p>500 Jahre ist es her, dass Hernán Cortés die Azteken besiegte und Mexiko für die spanische Krone in Besitz nahm. Im <a href="https://www.weltmuseumwien.at/ausstellungen/azteken/#ueber-die-ausstellung" target="_blank">Weltmuseum Wien</a> (in Kooperation mit dem Linden-Museum Stuttgart und dem Volkenkunden Museum Leiden) wird versucht, dem Anlass gemäß, das Bild der Azteken zurecht zu rücken: vom Menschenopfer darbringenden, blutrünstigen Haufen Wilder, zur mesoamerikanischen Hochkultur, basierend auf einer weit ausholenden kosmologischen Erzählung über die Entstehung der Welt und einer sich daraus erklärenden vielgestaltigen Gött:innenwelt, eines für die geografischen Gegebenheiten spezifisch entwickelten Landwirtschaftssystems sowie imperialer Expansionspolitik, die mitunter in Kriegen und mit Sicherheit in Tributzahlungen mündete. Tenochtitlán war die Hauptstadt der Azteken und Anfang des 16. Jahrhunderts möglicherweise die größte Stadt der Welt, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von rund 250 000; sie lag auf mehreren Inseln des heutzutage weitgehend verschwundenen Texcoco-Sees auf einer Seehöhe von rund 2200 Metern. Auf ihren Grundfesten ruht heute Mexico City, wo wiederum seit den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts versucht wird, den heiligen Bezirk und insbesondere die Reste des Templo Mayor frei zu legen. </p><p>Am Ende sollte es übrigens ein Virus (von den Spaniern eingeschleppte Pocken) gewesen sein, das hauptverantwortlich für den Untergang der Hochkultur der Azteken zeichnete. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhlZnJcCjMO_HA1-4Qm7dqamN9I0IoxDBjUwrkOBucOxQPdmwwAh2XAn6XIQfNuOU9OH0B4aphCQZf7HVA0NsZTAyPLDZvZOa5BYUIyvZnBnHGBLwMdNHURf1E5o4agYqB1y_-UhjCFQriU/s1200/gey.jpeg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="675" data-original-width="1200" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhlZnJcCjMO_HA1-4Qm7dqamN9I0IoxDBjUwrkOBucOxQPdmwwAh2XAn6XIQfNuOU9OH0B4aphCQZf7HVA0NsZTAyPLDZvZOa5BYUIyvZnBnHGBLwMdNHURf1E5o4agYqB1y_-UhjCFQriU/w640-h360/gey.jpeg" width="640" /></a></div><p>Der ORF zeigte kürzlich <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2016/11/viennale-nikolaus-geyrhalters-homo.html">Nikolaus Geyrhalter</a>s Dokumentation <i><a href="https://tvthek.orf.at/profile/dokFilm-Erde/13892638/dokFilm-Erde/14086874?meta=suggestion&query=erde&pos=1" target="_blank">Erde</a>. </i>Am Anfang steht ein Vergleich: der Mensch transferiere mittlerweile mehr als doppelt so viel Erde pro Jahr, als auf Grund natürlicher Prozesse bewegt wird, nämlich im Verhältnis 156:60 (Mio. Tonnen). Der Mensch, so Geyrhalters Botschaft, ist inzwischen zur mächtigsten geologischen Kraft auf dem Planeten geworden (nicht umsonst wird überlegt, dieses Zeitalter nach uns selbst zu benennen, nämlich <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2019/10/wir-stehlen-traume-was-fridays-for.html">Anthropozän</a>). Wir sehen Legionen von Bulldozern im San Fernando Valley, die sprichwörtlich Berge versetzen. Wir sehen einen Mann mit stattlichem Bart, schwarzer Sonnenbrille und Baseballcap, man könnte ihn für einen Motorradocker halten, der erzählt, wenn ihn eine Frau in einer Bar fragen würde, was er macht, könnte er sagen, <i>I move mountains for a living. </i>In ein paar Monaten wird das Werk der Verschiebung zweier Kontinentalplatten, das Jahrmillionen in Anspruch nahm, eingeebnet sein, um ebendort Platz für Einfamilienhäuser zu machen. Jahrmillionen würde es dauern, bis die im ehemaligen Salzbergwerk von Wolfenbüttel in den 70ern und 80ern eingelagerten radioaktiven Abfälle aufhören zu strahlen. Was für die Ewigkeit gedacht war, erwies sich als kurzfristiges Denken. Ein Ingenieur erzählt in breitem Sächsisch von Stabilisierungsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass Radioaktivität ins Grundwasser gelangt. Die Minen am Riotinto in Spanien galten schon zu Zeiten der Römer als Zentrum des Erzabbaus für das gesamte Weltreich. Neben dem nach wie vor florierenden Bergwerk wird von einem Archäologenteam die alte Römersiedlung ausgegraben. Wir sehen einen davon, wie er eines der Artefakte behutsam abbürstet und in eine der unzähligen Schachteln einsortiert. Er sagt, dass Geschichte spiralförmig und nicht kreisförmig verläuft; Hochkulturen würden entstehen und verschwinden, Wirtschaftssysteme wachsen, um dann in sich zusammen zu fallen. - Das könne uns jetzt genauso passieren. Angesichts der Ausbeutung an Ressourcen, die auf jede Nachhaltigkeit verzichtet, würde ihn das nicht weiter verwundern. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhr2j0WmT6cdlFnlqbm-Y2gAwPSbWn96KBbcHczZzOrPUCdhZM3MgUR7Al-Ne_GKjdSmigPgoHwHeDHk7OMdVhuWb1sEum6qyAvmEU6602qq3aLL-HPtocYrQfwMite52moe_lq_RZEskMt/s1024/xipe.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1024" data-original-width="673" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhr2j0WmT6cdlFnlqbm-Y2gAwPSbWn96KBbcHczZzOrPUCdhZM3MgUR7Al-Ne_GKjdSmigPgoHwHeDHk7OMdVhuWb1sEum6qyAvmEU6602qq3aLL-HPtocYrQfwMite52moe_lq_RZEskMt/w420-h640/xipe.jpg" width="420" /></a></div><p>In der Azteken-Ausstellung war unter anderem eine Skulptur, zeigend den Fruchtbarkeits- und Vegetationsgott <i>Xipe Totec</i>, zu sehen. Er ist meistens daran zu erkennen, dass er in Menschenhaut gekleidet erscheint (an seinen Handgelenken baumeln die Hände seines <i>Übergewandes</i>, sein Mund scheint eingerahmt von einem weiteren). Was insbesondere symbolisieren soll, dass Leben immer ein Kreislauf ist und also zwangsläufig mit dem Tod verbunden. <br />Ins Deutsche übersetzt, bedeutet sein Name in etwa: <i>Unser Herr, der Geschundene</i>. </p><p>Geyrhalters Reise führt am Ende zu den Abbaustättten von Ölsand in West-Kanada. Es wird ihm nicht erlaubt, dort direkt zu filmen. Er spricht stattdessen mit den Indigenen vor Ort. Sie nennen sich <i>Dené</i>, was soviel bedeutet wie Volk der Erde. </p><p>Und für einen Moment hatte ich eine Vorstellung davon, wer wessen Haut trägt.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com1tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-69609052406512258872021-03-23T03:51:00.003+11:002021-03-23T03:51:37.765+11:00Kunsthaus Wien: Nach uns die Sintflut<p><i>Aprés moi le déluge, </i>heißt es in Karl Marx' <i>Kapital</i>, das sei der Wahlruf jedes Kaptialisten und jeder Kapitalistennation. Das war im 19. Jahrhundert. Gut 150 Jahre später könnten wir die Sintflut kommen sehen, so wir nur hinsähen. Das <a href="https://www.kunsthauswien.com/de/ausstellungen/nach-uns-die-sintflut/" target="_blank">Kunsthaus Wien</a> versammelt zwanzig künstlerische Positionen, die zum Hinsehen zwingen. Das mag manchem Besucher und mancher <a href="https://www.derstandard.at/story/2000120028391/nach-uns-die-sintflut-im-kunst-haus-wien-auf-duennem" target="_blank">Kritikerin</a> zu eintönig sein, zu absehbar und zu bekannt. - Nichtsdestotrotz versuchen alle Positionen einen Standpunkt zu beziehen, sehen sich verpflichtet, Realitäten in Folge des Klimawandels in Film, Foto oder sonstiger künstlerischer Produktion zu bannen, und es bleibt ein Gefühl der Betroffenheit, fast so, als ob man jener Mann mit Spitzhacke in Nicole Six' und Paul Petritschs Installation (<i>Räumliche Maßnahme</i>) wäre, der unablässig auf die Eisfläche unter ihm eindrischt, rundum ein Nichts, das sich zunehmend in Konturlosigkeit auflöst - und dann wird plötzlich alles Schwarz und wir hören das Eis brechen und einen Schrei. Irgendwann las ich mal einen <a href="https://www.fastcompany.com/90602632/the-scariest-thing-about-climate-change-isnt-the-weather-its-us" target="_blank">Artikel</a>, wo zu lesen stand, dass die Klimaveränderungen viel weniger furchteinflößend wären, als wir selbst. Weil wir einfach weiter hacken. So als ob unser Ausweg allein im Untergang läge.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgcyJUd8ZE5xTWlT8IrzVsdY-u0g4G8mCAf-kI9trH9K6l1Xtw0ZQQsIpP66Yum9fPjQE32_BS1WC0PHvihUqkwUwhBJkBdYl9UkRBzdx-7Wr8Fazp_Bpza9IH-kCG2o9tpcvWRYO5ucyUp/s2048/IMG_8552.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1719" data-original-width="2048" height="538" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgcyJUd8ZE5xTWlT8IrzVsdY-u0g4G8mCAf-kI9trH9K6l1Xtw0ZQQsIpP66Yum9fPjQE32_BS1WC0PHvihUqkwUwhBJkBdYl9UkRBzdx-7Wr8Fazp_Bpza9IH-kCG2o9tpcvWRYO5ucyUp/w640-h538/IMG_8552.jpg" width="640" /></a></div><div style="text-align: center;"><span style="font-size: x-small;">The End, Justin Brice Guariglia</span></div><p><br /></p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com2tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-78263522445218930072021-02-01T04:39:00.002+11:002021-02-17T20:10:09.380+11:00Es gibt kein richtiges Leben im falschen - oder wenn die mitregierenden Grünen demonstrieren gehen<p>An das inzwischen zum Stehsatz gewordene <i>Es gibt kein richtiges Leben im falschen</i> von Adorno musste ich letztens denken, als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Sibylle_Hamann" target="_blank">Sibylle Hamann</a> (ihres Zeichens Abgeordnete im Parlament sowie Bildungssprecherin, der sich in einer Koalition mit der ÖVP befindlichen Grünen) Seite an Seite mit Schülerinnen und Schülern gegen die Abschiebung zweier Minderjähriger demonstrierte und das Geschehen dann auf ihrer <a href="https://www.facebook.com/photo?fbid=10222648077462181&set=a.1669171100706" target="_blank">Facebook-Wall</a> dokumentierte. - Als ich in einem Kommentar darauf hinwies, dass sie als Mitverantwortliche für das Geschehen (schließlich sind die Grünen <i>in der</i> Regierung) schlecht das Vorgehen der Polizei verurteilen kann, antwortete sie, dass sie nicht dafür zu belangen sei, da die Gesetze von Vorgängerregierungen beschlossen worden seien. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiCsnxDhW5WAPX1MRugxVj6ypu1IKzMxU_jGeAtFO_n8V4UHP4cEYoCIZnjh4_CvF657a1iNWHSVhsmTHlZ7L9JFhjxBdyTN1fJ6zOFzOPseC9UQOqVa6wV3wxEZI2bVGssJ6_5nGwKwD-e/s1600/zinner.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="959" data-original-width="1600" height="384" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiCsnxDhW5WAPX1MRugxVj6ypu1IKzMxU_jGeAtFO_n8V4UHP4cEYoCIZnjh4_CvF657a1iNWHSVhsmTHlZ7L9JFhjxBdyTN1fJ6zOFzOPseC9UQOqVa6wV3wxEZI2bVGssJ6_5nGwKwD-e/w640-h384/zinner.jpg" width="640" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">(c) APA/Georg Hochmuth</div></span><p>Am Tag nach der vollzogenen Abschiebung (und der nicht eben gewaltlosen Räumung der Blockade der Schülerinnen und Schüler durch die WEGA in Vollmontur samt Hundestaffel) schrieb Frau Hamann eine <a href="https://www.profil.at/oesterreich/die-gruene-sibylle-hamann-ueber-die-abschiebung-von-schuelerinnen-terror-und-teenager/401173150" target="_blank">Reportage</a> über ihre Erlebnisse, insbesondere festhaltend, dass man selbst - also die Grünen - die gesetzliche Grundlage, als sie beschlossen wurde, vehement kritisiert hat. Nur - inzwischen ist man Teil der Regierung und ist für deren Agieren mitverantwortlich, ob man selbiges richtig findet, oder nicht. Womit wir wieder bei Adorno angelangt wären: <i>Es gibt kein richtiges Leben im falschen. </i> </p><p>Der bedeutungssschwere Satz beschließt die Überlegungen zum <i>Asyl für Obdachlose </i>in der <i>Minima Moralia </i>und moniert die Unmöglichkeit eines unabhängigen Denkens, wenn dafür kein <i>Obdach </i>mehr gegeben ist. <i>Das Haus ist vergangen. </i>Es ist die Vorstellung von einem Haus, in dem Menschen in unabhängiger Existenz leben und aus dieser Freiheit heraus mit allen andern Menschen zusammen eine die Freiheit garantierende Gesellschaft bilden können. </p><p>Was mich wiederum an das Sprachbild vom <i>Haus Europa</i> erinnert, diesem imaginären Objekt, aufgeladen mit dem Begehren aus dem vormals zerstückelten Kontinent ein auf gemeinsamen Grundfesten basierendes Gemeinwesen zu etablieren. Dass diese Grundfesten primär in gemeinsamen ökonomischen Interessen zu finden sind und nicht in einem gemeinsamen Wertekatalog, zeigt sich mit Konstanz in der Flüchtlings- und Migrationsfrage. Inzwischen darf gesagt werden, dass in jedem Land der EU mittels klimpern auf der nationalen Klaviatur politisches Kleingeld (das sich durchaus machtvoll summiert) gemacht wird. Und wenn dann in Österreich um drei Uhr morgens ohne Dringlichkeit zwei minderjährige Mädchen abgeschoben werden, dann führt das einmal mehr vor Augen, dass das Haus vergangen ist (wiewohl im Zusammenhang mit Europa gesagt werden muss: das Haus wurde primär als Fabrik geplant, und einzig die Produktionsinteressen werden ernsthaft verfolgt). </p><p>Viel wurde diskutiert, als die Grünen sich nach der letzten Nationalratswahl in Österreich dazu entschlossen, mit der neuen ÖVP unter Sebastian Kurz zu koalieren. Schließlich hatte der zuvor mit der stramm rechten FPÖ eine Regierung gebildet, die in Folge des <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ibiza-Aff%C3%A4re" target="_blank">Ibiza-Skandals</a> implodierte. Was logischerweise nahelegte, dass die ideologische Shnittmenge zwischen den Grünen und der ÖVP recht klein auszufallen hatte. - Und überraschender Weise ist dem auch so. Weshalb sich in regelmäßigen Abständen die Frage stellt: wo ist die <i>rote Line</i>? Also jener Zeitpunkt, wo die Grünen gemäß dem missbrauchten Gretchen sagen (müssen), <i>Sebastian! Mir graut's vor dir.</i> </p><p>Mit der Abschiebung der minderjährigen Mädchen wurde die Linie ganz offensichtlich nicht überschritten. Man sah sich auch nicht dazu veranlasst, geschlossen - also die gesamte grüne Regierungsmannschaft - vor die Presse zu treten und gegen das Vorgehen zu protestieren. Anzumerken, dass die Verantwortung für die gewählte Vorgangsweise einzig beim Innenminister zu suchen sei, der jede Möglichkeit gehabt hätte, den Fall noch zu prüfen und gegebenenfalls humanitäres Bleiberecht zu verhängen (was in diesem Zusammenhang laut Auskünften einiger Anwälte angebracht gewesen wäre). Das wäre meines Erachtens die notwendige Reaktion gewesen. </p><p>Wenn Abgeordnete (neben Sibylle Hamann waren auch Lukas Hammer und Georg Bürstmayr zugegen) einer Regierungspartei an einer Demonstration gegen eine Aktion des Koalitionspartners teilnehmen, dann haben sie vergessen, dass sie gegenwärtig zum Hauspersonal gehören. Wie dysfunktional auch immer sich die Vorgänge im Haus selbst darstellen. </p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-31645141470109660592020-12-24T07:05:00.001+11:002020-12-24T07:16:16.407+11:00Zu Colum McCanns Apeirogon und Gerhard Richters Landschaften<p>Colum McCanns Roman <i>Apeirogon</i> gliedert sich in zwei Teile mit jeweils 500 Kapiteln, die mitunter nur aus einem Satz bestehen - oder manchmal auch bloß aus einem Foto. Jeder der zwei Teile wird mit einem Foto abgeschlossen. Es zeigt einen Ausschnitt einer Wasseroberfläche mit leichtem Wellengang, sich am oberen Ende im Horizont verlierend.</p><p>Was mich an ein Landschaftsbild von Gerhard Richter erinnerte, das ich kürzlich in der <a href="https://www.kunstforumwien.at/de/ausstellungen/hauptausstellungen/262/gerhard-richter-landschaft" target="_blank">aktuellen Ausstellung</a> des Bank Austria Kunstforums gesehen habe. Man sieht darauf eine unruhige Wasseroberfläche, die sich am Horizont verliert - und der angrenzende Himmel spiegelt selbige. So als ob es keinen Unterschied gäbe. </p><p>Kein Himmel, keine Hölle.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgLSmYY9DOGqlxyxdeRbjjb1MReTz7JQPJabs7K3-KjeFNPw0w_oP87O0wsRsL2nEV6AiKda5TRi-AsOrA6C8EXETSMoi3cKyEPxgGlWzxaKxhUIgmPRs7O6tuIhUckPrz6kMfFyKQzZVOJ/s900/richter.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="900" data-original-width="898" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgLSmYY9DOGqlxyxdeRbjjb1MReTz7JQPJabs7K3-KjeFNPw0w_oP87O0wsRsL2nEV6AiKda5TRi-AsOrA6C8EXETSMoi3cKyEPxgGlWzxaKxhUIgmPRs7O6tuIhUckPrz6kMfFyKQzZVOJ/w638-h640/richter.jpg" width="638" /></a></div><div style="text-align: center;"><span style="font-size: x-small;">Gerhard Richter, Seestück (See-See) , 1970</span> <span style="font-size: x-small;">© Gerhard Richter 2020</span></div><p>Der erste Teil von McCanns Roman zählt die Kapitel von eins bis fünfhundert; der zweite Teil zählt von fünfhundert zurück. Das jeweilig fünfhundertste Kapitel beider Teile stellt einen der (Märchen-)<i>Helden</i> vor. Aus der Ich-Perspektive, zusammen gebaut aus dem Material aus Interview-Serien in Jerusalem, New York, Jericho und Beit Jala, die McCann mit Rami Elhanan, einem Israeli, und Bassam Aramin, einem Palästinenser, geführt hat. Beide sind Aktivisten der <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Combatants_for_Peace" target="_blank">Combatants for Peace</a></i>, eines <i>Grass-Roots-Movements</i>, das sich für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts einsetzt; und beide haben eine Tochter verloren. Elhanans 13-jährige Tochter Smadar kam bei einem Bombenanschlag von palästinensischen Selbstmordattentätern ums Leben, Aramins 10-jährige Tochter Abir wurde von einem israelischen Soldaten erschossen. Elahanan und Aramin waren schon zuvor Freunde. Der Verlust ihrer Töchter machte sie zu Brüdern.</p><p>Zwischen den beiden Teilen gibt es eine (notwendigerweise) <i>märchenhafte</i> tausendunderste Geschichte: <i>Once upon a time, and not so long ago, and not so far away (...) </i>- eine Geschichte <i>der </i>Geschichten, eine Geschichte, die immer nur Anfang und nie Ende sein kann. Womit die eintausend anderen Kapitel zu frei flottierenden Teilen in McCanns Erzähluniversum werden - ohne Fixierung in Raum und (Erzähl-)Zeit. Und McCann nährt damit die Hoffnung, dass das Erzählen (nämlich Aramins und Elahans) - wie in <i><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Tausendundeine_Nacht" target="_blank">Tausendundeine Nacht</a> - </i>dem Töten eine Ende zu setzen imstande ist. </p><p><i>Apeirogon: a shape with a countably infinite number of sides. - </i>Ein Kreis, ohne einer zu sein; mit dem Verweis, dass die Bestandteile, woraus selbiger sich zusammen setzt, aus genau Gegensätzlichem besteht, nämlich: Linien. - Wenn man die Fotos am Ende der beiden Teile lange genug betrachtet, bemerkt man, dass sie genau so gut die Wüste abbilden könnten. </p><p>Gerhard Richter sagt über seine Landschaften, dass sie <i>"ja nicht nur schön oder nostalgisch, romantisch oder klassisch anmutend wie verlorene Paradiese, sondern vor allem verlogen"</i> sind. Und zwar insofern, dass sie sich gegen die Verklärung der Natur richten. Weil die Natur weder Sinn, noch Gnade, noch Mitgefühl kennt. Die Natur ist das totale Gegenteil von uns. Und doch fühlen wir uns wie ein Teil davon. - Ein Kreis, ohne einer zu sein.<br /></p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-80830153350051568022020-12-04T07:46:00.001+11:002020-12-04T07:47:16.892+11:00Zum eingeschleppten Virus, Annihilation und Alexander Kluge<p>Der Bundeskanzler der Republik sagt in einer Pressekonferenz, dass das Virus - nachdem die Infektionszahlen in Österreich im Sommer schon recht niedrig gewesen waren - insbesondere durch Personen, die ihre Familie in den Herkunftsländern besucht haben, wieder herein <i>geschleppt</i> wurde, was einerseits faktisch - soweit ich das nachlesen konnte - keiner Überprüfung stand hält und andererseits ganz offensichtlich ein xenophobisches Schuldkalkül bedient. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhFrps-RTpY8OTKRpe48JornBdPjkQiW6mlGmvIdLBrFwfHJeHnkNUiOqaTWWK3UBGbFmmVxXa-Xw_pSUeiKyR-SfSvNA9gQVk957T4tFQtnbs9ztOldhKrLfA6rahOnHH0TAw4WMwCC3YY/s1200/shim.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1200" data-original-width="1200" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhFrps-RTpY8OTKRpe48JornBdPjkQiW6mlGmvIdLBrFwfHJeHnkNUiOqaTWWK3UBGbFmmVxXa-Xw_pSUeiKyR-SfSvNA9gQVk957T4tFQtnbs9ztOldhKrLfA6rahOnHH0TAw4WMwCC3YY/w400-h400/shim.png" width="400" /></a></div><span style="font-size: x-small;"><div style="text-align: center;">(c) Netflix</div></span><p>Beim Nachdenken über diese Äußerung kam mir <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Ausl%C3%B6schung_(Film)" target="_blank">Alex Garlands <i>Annihilation</i></a> in den Sinn, ein Science Fiction Film basierend auf einem Roman von Jeff Vandermeer. Ausgangspunkt für die Geschichte ist ein mysteriöser Vorfall, der sich drei Jahre zuvor bei einem Leuchtturm an der Küste im Süden der USA ereignet hat. Seither breitet sich eine Art Schild (<i>shimmer</i>) rund um das Gebiet aus und alles darin Befindliche wird <i>überwuchert</i>. Seit dem Auftauchen dieses Phänomens sind schon elf Expeditionsteams ausgeschickt worden, um das Geschehen in <i>Area X</i> zu untersuchen - keines davon kam jemals zurück. Bis zu dem Zeitpunkt, wo der Ehemann der Molekularbiologin Lena (Natalie Portman), der an der letzten dieser Missionen teilgenommen hatte, plötzlich vor der Tür steht - allerdings nicht mehr derjenige zu sein scheint, der er einmal war. Lena beschließt daraufhin, bei der sich unmittelbar vor dem Aufbruch befindlichen zwölften Expedition teil zu nehmen. Die Teilnehmerinnen (ausnahmslos Frauen) verlieren nach Durchschreiten des Schimmers ihre Zeitwahrnehmung, ihre Erinnerungen beginnen sich zu verwirren, sie treffen auf nie gesehene Pflanzen und eine ins Absurde mutierte Tierwelt: es ist eine <i>Zone</i> der <i>Deterritorialisierung</i>, ein Reich des <i>Werdens</i>. </p><p><i></i></p><blockquote><i>"The shimmer is a prism that refracts DNA.“ </i></blockquote><p></p><p>Was bedeutet - hier steht das Menschliche als evolutionäres Produkt zur Disposition (Deleuze/Guattari weisen in <i>Mille Plateaux</i> darauf hin, dass dieses <i>Werden</i> zwangsläufig Zerstörung beinhaltet - Utopie und Albtraum, zwei Seiten einer Medaille).</p><p>Im Zusammenhang mit dem Virus wurden (und werden) im politischen Jargon <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/04/zum-krieg-gegen-corona-und-chimamanda.html">immer wieder</a> militärische Sprachbilder bemüht, das Szenario insinuiert einen Kampf Mensch versus Natur - oder genauer, wie <a href="https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/alexander-kluges-brief-an-giorgio-agamben-zu-sars-cov-2-17071973.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2" target="_blank">kürzlich Alexander Kluge ausführte</a>, einen <i>Bürgerkrieg zwischen der Natur der Menschen und der Natur (...) hybrider Kleinlebewesen. </i>Kluge weist darauf hin, dass die Welt der Viren, eine ungemein viel ältere als diejenige der Menschheit ist und Viren sowohl in unserem Körper (allein im Darmtrakt bis zu zwei Kilo davon - womit das <i>Gefühl im Bauch</i> eine ganz neue Bedeutung erlangt) als auch in unserem Erbgut existieren. Im Unterschied zum Menschen liegt die primäre Überlebensstrategie von Viren allerdings nicht in der Ausprägung einer den Wettbewerbern überlegenen Intelligenz, sondern der Fähigkeit permanenter Mutation. Unablässig passen sie sich an, prägen neuen Fähigkeiten aus, entwickeln Varianten, Gruppen, Eliten: <i>werden.</i> </p><p>In Anlehnung an das Sprachbild aus Garlands <i>Annihiliation </i>könnte man formulieren, dass das Virus wie ein Prisma Gesellschaften in ihre DNA zerlegt. Und hinter all dem mühsam erworbenen Humanismus lauert nach wie vor das völkisch-dumpfe Ressentiment.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-19655052578049356552020-10-25T21:17:00.000+11:002020-10-25T21:17:59.883+11:00Mauthausen - Über zwei Leben und die Notwendigkeit zu lachen<p>(Insbesondere) In Wien wird wieder einmal darüber diskutiert, wie man mit dem Karl Lueger Denkmal umgehen soll, der zweite Weltkrieg ist mittlerweile 75 Jahre vorbei und in St. Georgen wird das <i>Haus der Erinnerung </i>eröffnet, in dem der 40 000 Opfer des Konzentrationslagers Gusen gedacht werden soll. Stanisław Leszczyński und sein um ein Jahr jüngerer Bruder gehören zu jenen 30 000, die sogar der <i>Hölle der Höllen</i> (wie Gusen genannt wurde) entkommen sollten. Er und Franz Hackl sind die zwei Leben, die Simon Wieland in seinem Dokumentarfilm <i><a href="https://filminstitut.at/filme/mauthausenzweileben" target="_blank">Mauthausen - Zwei Leben</a></i> verschneidet. </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEji93oKGAQt0Blz3GnWgXu3S6oPOxz-EbmeRS6ZAUKrrxboFOh2XovPj1QLmPqbeXzjXJQhHmCJsC2XU9kfpklNG5F9s-YhvLkp7WTpA2EA3F3zV2uBK1tPK_mHkDPVQQLsOcokDDHWKT0W/s2048/Poster-MAUTHAUSEN-ZWEI-LEBEN-print1-scaled.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2048" data-original-width="1514" height="640" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEji93oKGAQt0Blz3GnWgXu3S6oPOxz-EbmeRS6ZAUKrrxboFOh2XovPj1QLmPqbeXzjXJQhHmCJsC2XU9kfpklNG5F9s-YhvLkp7WTpA2EA3F3zV2uBK1tPK_mHkDPVQQLsOcokDDHWKT0W/w474-h640/Poster-MAUTHAUSEN-ZWEI-LEBEN-print1-scaled.jpg" width="474" /></a></div><p>Der eine, in Mauthausen geboren, ist elf Jahre alt, als Hitler, von jubelnden Menschenmengen begrüßt, in Österreich einmarschiert. Und er steht Hakenkreuzfähnchen wedelnd am Straßenrand und verteilt Blumen an die Wehrmachtssoldaten, die Freude war groß, das Herz voller Hoffnung (nur sein Vater hatte schon Bedenken). Nach der Schule bekommt er eine Lehrstelle in der Betriebsschlosserei im KZ Mauthausen, die Barackenfenster eröffnen den Blick direkt auf den Appellplatz und die Werkbank dient immer wieder als Bock, wo Gefangenen, die sich regelwidrig verhalten hatten, der bloße Hintern in Fetzen geschlagen wurde. Der andere - aus Łódź in Polen, wohnt gleich neben dem jüdischen Ghetto. Die Brüder sind im Widerstand, Grund genug die ganze Familie zu deportieren, Mutter und Tochter nach <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2008/05/zu-berichten-wre-auch.html?q=auschwitz">Auschwitz</a>, Stanislaw und seinen Bruder nach Mauthausen (und später Gusen). Und wenn er von Mauthausen erzählt, spricht er Deutsch, die Sprache, die er gezwungen war, im Lager zu sprechen, weil der Blockälteste es sich so einbildete. Während Franz Hackl versucht, die Ereignisse mittels eines etwas hölzern klingenden Hochdeutschs auf das Faktische zu reduzieren, das - immer wenn die eigene Emotion verfängt - ins Oberösterreichische kippt. Zwei Lebenswege, die sich, wiewohl am selben Ort, nie kreuzten, der eine - tage- und nächtelang mit allen anderen Mitgefangenen in Wind und Wetter am Appellplatz stand, bis der Flüchtige gefunden und vor ihren Augen aufgehängt wurde, der andere in der Schlosserei durch die Fenster auf den Appellplatz starrte und mehr und mehr zur Überzeugung gelangte, dass nicht die Eingesperrten die Bösen sind. Während in Hackls Augen die Tränen stehen, die Stimme brüchig wird und er verstummt, weil sich keine Worte für das Erlebte finden lassen, blitzt in Leszczyńskis Augen der Schalk, er erzählt wie ein <i>Simplicius</i> vom Überleben im Lager, wie er vorgab ein Boxer zu sein (um sich eine bessere Verpflegung zu erschwindeln), um dann bei einem Kampf mit einem echten Boxer schon in der ersten Runde zu Boden zu gehen und wundersamerweise in der zweiten Runde eine Gerade zu landen (in die der Profi möglicherweise freiwillig hinein rannte) und damit den Kampf zu gewinnen. Von dem Moment, wo er so schwach war, dass er schon auf den Totenwagen gehievt worden war und vor dem Krematorium von einem Hilfskapo gerettet wurde, um in de Krankenstation zu kommen, um vom dortigen Arzt für ein Experiment missbraucht zu werden, ein Überleben so unglaublich wie die Szene, die Leszczyński von einem spanischen Mitgefangenen erzählt, der Suizid begehen wollte, in dem er den elektrischen Zaun berührt - nur dass der Zaun gar keinen Strom führte. <i>No electrico</i>, prustet Leszczyński und es schüttelt ihn, ob der absurden Komik der Situation und wir lachen mit ihm. Sigmund Freud sagt übrigens über den Witz, dass er Lustgewinn verschaffe, weil Verdrängtes kurzzeitig Lockerung erfahre und also erfahrbar wird. Nicht notwendig zu erwähnen, dass man Franz Hackl nie lachen sieht.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-3491919578879939762020-10-03T02:14:00.001+11:002020-10-03T02:19:53.409+11:00Bürgerliches Trauerspiel - wann beginnt das Leben - und ab wann ist es Kunst?<p><i>Wann beginnt das Leben, </i>fragt Martin Gruber sich und sein <a href="http://aktionstheater.at/" target="_blank">aktionstheater ensemble</a> im <a href="https://werk-x.at/" target="_blank">Werk X</a>, nachdem die im Februar unternommene <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/02/wege-aus-der-krise-heile-mich-oder-auf.html">Erlösungsmission</a> ganz offensichtlich nicht zu den gewünschten Resultaten geführt hat, sondern dem Krisen-Marathon einfach ein weiteres Element hinzu gefügt wurde. Wenn in <i><a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/02/wege-aus-der-krise-heile-mich-oder-auf.html">Heile mich</a></i> an Hand dreier Frauenschicksale exemplifiziert wurde, wie individuelle Ausweg-Strategien aus der Krise aussehen können, materialisiert sich das <i>Bürgerliche Trauerspiel </i>in drei Männern (Horst Heiß, Thomas Kolle, Benjamin Vanyek) und bloß einer (der letzten vom Corona-Virus und seinen Folgen verschonten) Frau (Michaela Bilgeri) auf den Brettern, die die Welt bedeuten (sollen). - Die zuallererst zurück erobert (verhaltener Trommelwirbel; Soundtrack by Nadine Abada, Kristian Musser und Alexander Yannilos) und auch die notwendigen Abstandsvorkehrungen getroffen werden müssen. Entsprechend <i>konsequent</i> zieht Thomas Kolle eine Linie, um die weltbedeutenden Bretter von den gemeinen Zuschauerrängen zu trennen, dann treten die restlichen Schauspieler und die eine Schauspielerin auf und Benjamin Vanyek deklamiert: <i>Die Bundesregierung hat gesagt, wir müssen gerade jetzt in diesen Zeiten der großen Not die österreichischen Künstler und Künstlerinnen sehr unterstützen.</i></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjFhTBNuxlpnkKU3qtDLpkJeWOEihlYKKlHWw37tPAEiZSwPc2axRn-lJltDKimtKxpf-HlX6zBZ-LeyQQnzoEAMVr_5FMPSKUdbRaY4CP1M6tb1LH9PF-u5xcqQHWtH5EO0OAZHRgZYgot/s920/the-square-4-09d2b.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="614" data-original-width="920" height="428" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjFhTBNuxlpnkKU3qtDLpkJeWOEihlYKKlHWw37tPAEiZSwPc2axRn-lJltDKimtKxpf-HlX6zBZ-LeyQQnzoEAMVr_5FMPSKUdbRaY4CP1M6tb1LH9PF-u5xcqQHWtH5EO0OAZHRgZYgot/w640-h428/the-square-4-09d2b.jpg" width="640" /></a></div><p>2017 gewann Ruben Östlund mit <i>The Square</i> die Goldene Palme in Cannes. Titelgebend ist ein Kunstwerk - ein auf den Boden gemaltes, weißes Quadrat im öffentlichen Raum, das Zufluchtsort sein soll und wo Vertrauen und Fürsorge herrschen. Alle sollen gleiche Rechte und Pflichten haben. Konträr zu dieser <i>utopischen</i> Vorstellung wird eine Woche aus dem Leben des Chefkurators (der für die Installation von <i>The Square</i> verantwortlich zeichnet) eines Museums erzählt, die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass permanent nach Hilfe gerufen wird - und also notwendigerweise immer wieder überprüft wird, wie es um die Tugend des Mitgefühls und der Hilfsbereitschaft bestellt ist, was wiederum zumeist in ein Dilemma der Wahl zwischen dem eigenen Vorteil und der Moral mündet. </p><p>Das <i>Bürgerliche Trauerspiel</i> räumte einst dem Bürgertum historische Bedeutung ein, indem bürgerliche Schicksale fortan ebenfalls auf den weltbedeutenden Brettern verhandelt werden sollten - mit dem Unterschied, dass die auf Grund des nicht vorhandenen Adelsstandes fehlende Fallhöhe durch das Herauskehren moralischer Tugenden kompensiert werden musste. Weshalb Benjamin Vanyek seine Deklamation folgendermaßen fortsetzt: <i>Und jetzt stellen Sie sich mich als Emilia Galotti vor, mit dieser leicht lakonischen Sprache, wie Goethe schon gemeint hat. Und das in dieser Krise jetzt.</i> Jener Galotti also, die sich, um ihre Tugend zu bewahren, von ihrem Vater erstechen lässt. Es bleibt bei der <i>Vorstellung</i> von Tugendhaftigkeit - das durch die vier Personen gezeichnete Bürgertum <i>be</i>sticht mit <i>Post</i>-Bürgerlichkeit (und lässt sich demnach bestechen): der sich in ewiger Adoleszenz befindliche, berufsjugendliche Thomas referiert feixend die ihm von Mama und Papa vorgetragenen Werte, Horst ergeht sich in wutbürgerlichen Beschimpfungsorgien gegen Obrigkeit und Finanzkapital, Michaela gutmenschelt im Urlaub und dokumentiert den täglichen Alkoholkonsum und schließlich Benjamin, der sich für die sexuelle Freiheit und Kunst opfert (geopfert wird). - Die eingeräumten Tugenden also welche, die keinen (hohen) <i>Fall</i> zulassen, demgemäß das <i>Trauerspiel</i> eine <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/02/wege-aus-der-krise-heile-mich-oder-auf.html">Ego-Show</a>. Es bleibt bei der Lakonie, erstochen wird niemand. </p><p>Eine (wenn nicht die) zentrale Frage in Ruben Östlunds <i>The Square </i>ist jene, nach der Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Wo, wie und mit welchen Konsequenzen finden Transfers zwischen den beiden Sphären statt (quasi über die <i>weiße</i> Linie hinweg). Wodurch wird ein <i>Pissoir</i> oder eine stinknormale Handtasche, wie zum Beginn des Films diskutiert wird, zum Kunstwerk? Und wie ist das Verhältnis zwischen Kunst und Menschheit zu <i>be</i>greifen? - Was Östlund in einer schmerzvoll gloriosen Szene auf den Punkt bringt: ein Künstler gibt eine Performance bei einem Galdinner; er mimt einen Gorilla, springt durch den Saal, betatscht die betuchten Leute, legt ihnen Servietten auf die Köpfe, macht Gorillageräusche, wird immer aggressiver, stampft, brüllt, klopft sich auf die Brust, sucht sich ein <i>Weibchen</i> und reißt es zu Boden - womit die Grenze erreicht ist: hier endet die Kunst und der Gorilladarsteller wird von einer geifernden Meute verdroschen. </p><p>Am Ende des <i>Bürgerlichen Trauerspiels</i> sehen wir Benjamin als <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Corona_(Heilige)" target="_blank">Heilige Corona</a> Glitzerkonfetti auf die weltbedeutenden Brettern streuen - und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als betrauere er hier nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern das des gesamten Theaters in Corona-Zeiten, wo die Linie nicht mehr überschritten werden darf.</p>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-74149538534536771892020-09-26T04:37:00.001+11:002020-09-26T22:49:06.130+11:00Zum #Klimastreik, zur fehlenden politischen Verantwortung und überschätzter Eigenverantwortung<div>Ana Grujić publizierte kürzlich im Standard einen <a href="https://www.derstandard.at/story/2000120111584/warum-ihr-bio-einkauf-nicht-die-welt-rettet" target="_blank">Essay</a> mit dem Titel <i>Warum Ihr Bio-Einkauf nicht die Welt rettet</i>, der (einmal mehr) klären soll, dass das Individuum im Grunde <i>nichts</i> gegen die Klimakatastrophe unternehmen kann (die Verantwortung des/der Einzelnen sei hinsichtlich der Pflicht der Großen vernachlässigbar), außer sich an Politiker*innen zu wenden, damit diese endlich die längst notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. </div><div><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhcNsQNeBEOli5iQff3aEqYFLOmq_vQM7hlk0fPh-TFDvTTZYFx8wNS1ZM4Rc_szALVexNLQ-n96hQ_d6KJsRub2GUlLIxSTfWm46J5eR8vvNOkAFPKVRdCLdmvY59UDzBs5VmBxOtyFpp-/s765/klima.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="430" data-original-width="765" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhcNsQNeBEOli5iQff3aEqYFLOmq_vQM7hlk0fPh-TFDvTTZYFx8wNS1ZM4Rc_szALVexNLQ-n96hQ_d6KJsRub2GUlLIxSTfWm46J5eR8vvNOkAFPKVRdCLdmvY59UDzBs5VmBxOtyFpp-/w640-h360/klima.png" width="640" /></a></div><div style="text-align: center;"><span style="font-size: x-small;">Orte, an denen es Demonstrationen anlässlich des #Klimastreik-Tages gibt</span></div><div><br /></div><div>Draußen regnet es (mitunter in Strömen) und es ist globaler #Klimastreik-Tag - an über 3000 Orten rund um den Globus wird - den wettermäßigen Kapriolen zum Trotz - demonstriert, Forderungskataloge werden präsentiert und (einmal mehr) die Politik aufgefordert, ihrer Verantwortung hinsichtlich Einhaltung der <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2018/12/warum-ich-mir-nicht-erwarte-dass-es-in.html">Pariser Klimaziele</a> nachzukommen. Und wir werden (einmal mehr) insgeheim wissen, dass sich nichts (womit ich Handlungen meine, die die Einhaltung der Klimaziele tatsächlich erreichbar erscheinen ließen) ändern wird. Es werden (einmal mehr) symbolpolitische Aktionen stattfinden, entsprechend betroffen drein schauende Gesichter zu sehen sein und (im Grunde) alles so weiter gehen wie bisher (wenn nicht eben <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search?q=corona">Corona</a> wäre). Das wissen wir - insgeheim - alle (wage ich zu behaupten).</div><div><br /></div><div>Und das ist meines Erachtens das wirklich Rätselhafte: Wir, die wir - ganz ohne Zweifel - zu jenem Teil der Bevölkerung zählen, die für einen <a href="https://www.theguardian.com/environment/2020/sep/21/worlds-richest-1-cause-double-co2-emissions-of-poorest-50-says-oxfam" target="_blank">Gutteil</a> (mehr als die Hälfte) des jetzt in der Atmosphäre befindlichen CO<span style="font-size: x-small;">2 </span>verantwortlich sind, <i>werden</i> angesichts des klimakatastrophischen Abgrunds offensichtlich <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2014/05/barbara-eder-blick-in-den-abgrundblick.html">selbst zum Abgrund</a>: Wenn Grujić argumentiert, dass die individuellen, ökologisch-inspirierten Handlungen des/der Einzelnen keine Wirkung hätten, ignoriert sie (bzw. gewichtet sie nicht angemessen) die <i>Vorbild</i>wirkung auf Nachbarn, Freunde, Bekannte und - falls gegeben - künftige Generationen wie auch den damit einher gehenden sozialen, ökonomischen und politischen Druck (siehe beispielsweise Verkehrspolitik in Wien am Beispiel Radfahrer*innen). Und wenn wir die Verantwortung für eine ökologisch angepasste Lebensweise in Politiker*innenhände legen, wissen wir in unseren demokratisch verfassten und kapitalistisch strukturierten Gesellschaften auch, dass diese Lebensweise nur mittels dafür vorgesehenen Institutionenwegs erwirkt werden kann. D.h. über Wahlen und/oder entsprechendes politisch-gesellschaftliches Engagement. Beides - sowohl <i>mein</i> ökologisch inspiriertes Handeln als auch <i>mein</i> politisches Engagement - zutiefst eigenverantwortlich. - Und eben dieser Eigenverantwortlichkeit gebricht es angesichts konsumistisch und hedonistisch ausgerichteter Lebenspraxen an Konsequenz (ich <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/02/freiwilliger-verzicht-notwendigkeit.html">erinnere mich</a> an die teilweise sehr leidenschaftlichen Plädoyers für oder gegen Flugscham bzw einer Verzichtskultur). Was es gemäß der ökonomischen Systemik auch muss (ohne Konsum kein Wachstum).</div><div><br /></div><div>Was mich an eine Diskussion erinnert, die im Zusammenhang mit der politischen Verantwortung beim <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/search?q=hypo">Hypo-Debakel</a> geführt wurde und u.a. dazu führte, dass der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol im Fernsehinterview mit Armin Wolf anmerkte, dass man eben - so man mit den politischen Entscheidungen einer Person (und also Partei) nicht zufrieden ist - sie beim nächsten Wahlgang nicht mehr in Betracht ziehen sollte. Politische Verantwortung wäre demnach etwas, das erst in der Nachbetrachtung seine Gewichtung erfährt und ist damit in unmittelbarer Konsequenz Produkt der Berichterstattung über und Einordnung von politisch und gesellschaftlich relevanten Ereignissen - und also ganz wesentlich abhängig von der medialen Wahrnehmung. - Müßig zu erwähnen, dass sowohl im <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2014/12/hypo-alpe-adria-zum-wohl-der.html">Zusammenhang mit der Hypo</a> als auch mit der globalen Erwärmung von massiven <a href="https://uebermedien.de/52582/journalistinnen-nehmt-die-klimakrise-endlich-ernst/" target="_blank">Versäumnissen in der Berichterstattung</a> hingewiesen werden muss (mit teilweise <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2018/08/warum-es-angebracht-ist-im-bezug-auf.html">dezidiert lobbyierten Hintergründen</a>). </div><div><br /></div><div>Politische Verantwortung demnach ein (Fantasie-)Konstrukt, Eigenverantwortung unter den (im Grunde nicht veränderbaren) Rahmenbedingungen nur sehr begrenzt erfolgversprechend - was lauert im klimakatastrophischen Abgrund? Meines Erachtens ist davon auszugehen, dass die Menschheit keine notwendig zeitnahe Revision ihrer Lebensweise akkordiert über den Globus ausrollen kann und deshalb die einzig realistisch veränderbaren Variablen diejenigen sind, die auch schon im Fokus stehen: möglichst rascher Einsatz erneuerbarer Energien in allen Lebensbereichen (passiert zur Einhaltung der Pariser Klimaziele garantiert zu langsam und in gewissen Wirtschaftszonen notwendigerweise Zeit verzögert), <a href="https://electrek.co/2020/09/21/norway-world-first-carbon-capture-storage-project/" target="_blank">Entwicklung von Technologien</a> zur CO<span style="font-size: x-small;">2</span>-Abscheidung und Speicherung für die Reduktion der sich schon in der Atmosphäre befindlichen Emissionen (unwahrscheinlich, dass in der noch zur Verfügung stehenden Zeit, entsprechend große Kapazitäten geschaffen werden können) - und, <i>last but not least</i>, die Suche nach einer zweiten Erde (zugegeben - ziemlich verrückt; aber Hoffnung ist auch kein rationales Konzept). </div><div><br /></div><div>Á propos Hoffnung - zu Beginn des Lockdowns keimte die <a href="https://manfredbruckner.blogspot.com/2020/03/corona-als-nostalgievirenschleuder.html">Hoffnung</a> auf, dass Corona ein komplettes Umdenken unserer Seinsweise zur Konsequenz haben könnte, dass man die empfundene Leere während des Lockdowns zum Gewinn umdeuten könne, dass man der drohenden Klimakatastrophe mit den während des Lockdowns gewonnenen Erkenntnissen tatkräftig entgegen schreite. Stattdessen wurden im Frühsommer Milliarden schwere Hilfspakete für die darnieder liegende Wirtschaft aufgelegt. Ohne irgendwelche verbindliche Zusagen hinsichtlich klimaschonender Maßnahmen. </div>Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-3126035334494819249.post-81957666716274718772020-09-08T03:17:00.001+11:002020-09-08T21:42:18.415+11:00Scott McClanahans The Sarah Book - oder Über das Verlieren <div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEihC_G-k41k0NpBJqNfUU96TzK0FztF5BCWhwmVMY6i31zQ56tCgG0Qx5vGIrSiLOlxI1f_GZ6XlCF0Piumiy3UapO3sSAtWoxHGi_AgPtEcw9CbJWf_XRpfwmr04gZou-qdlOO24IT1z4s/s2048/sarah.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2048" data-original-width="1609" height="400" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEihC_G-k41k0NpBJqNfUU96TzK0FztF5BCWhwmVMY6i31zQ56tCgG0Qx5vGIrSiLOlxI1f_GZ6XlCF0Piumiy3UapO3sSAtWoxHGi_AgPtEcw9CbJWf_XRpfwmr04gZou-qdlOO24IT1z4s/w314-h400/sarah.jpg" width="314" /></a></div><br /><div>Der Arbeitstitel für meinen <i><a href="https://www.bibliothekderprovinz.at/buch/7327/" target="_blank">Jahrhundertroman</a></i> lautete <i>Über das Verschwinden</i>,<i> </i>Scott McClanahan beginnt seinen Jahrtausendroman <i>The Sarah Book </i>mit folgenden Zeilen:</div>
<blockquote>
<i>There is only one thing I know about life. If you live long enough you start losing things. Things get stolen from you: First you lose your youth, and then your parents, and than you lose your friends, and finally you end up losing yourself.</i></blockquote>
Du verlierst Dinge, weil sie dir genommen werden, <i>they got stolen - w</i>as sagt, es gibt eine Intention, also jemanden oder etwas, das kontinuierlich zugreift. Und du bist machtlos. Was den Protagonisten schon recht gut beschreibt. Er ist <i>machtlos</i> (oder: empfindet sich so bzw. will sich so empfinden). Und: <i>es</i> passiert. So als müsste es so sein, würde einem vorgeschriebenen Skript folgen. Was <i>es</i> natürlich nicht tut, sondern nur zum Ausdruck bringt/bringen soll, wie McClanahan seinen Protagonisten begreift (und ich weiß nicht, ob man dem Text etwas Gutes tut, indem man - wie einige Kritiker*innen - den Protagonisten mit dem Autor gleich setzt): Ein nicht mehr ganz junger Mann, der <i>es</i> irgendwie nicht in den Griff kriegt. <i>Es</i>, oder s<i>ich</i>.<br />
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Was mich jetzt - beim Schreiben - kurz an Gilles Deleuze und Félix Guattari und deren <i>Anti-Ödipus</i> denken ließ:</div><div>
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<i>Es funktioniert überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen. Es atmet, wärmt, ißt. Es scheißt, es fickt. Das Es … Überall sind es Maschinen im wahrsten Sinne des Wortes: Maschinen von Maschinen, mit ihren Kupplungen und Schaltungen. Angeschlossen eine Organmaschine an eine Quellmaschine: Der Strom, von dieser hervorgebracht, wird von jener unterbrochen.</i></blockquote>
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Im Wunschmaschinen-Sprech ließe sich demnach sagen, McClanahan beschreibt eine Wunschmaschine, die immer wieder angeworfen wird, um sich nach dem Delirium - einmal mehr - in einer Ordnung zu finden, der zu entsprechen nicht gelingen will.</div>
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Dem Verlust von <i>Dingen</i> lässt sich von (mindestens) zwei Seiten nachspüren: von der pragmatischen und von der psychoanalytischen. Pragmatisch gesehen bedeutet <i>etwas</i> verlieren bloß, dass man darauf zu wenig Acht gegeben hat und sich dementsprechend, keine Erinnerung an den Verbleib abrufen lässt. Psychoanalytisch (freudianisch) interpretiert funktioniert es genau umgekehrt (was <i>zumindest</i> bemerkenswert ist): man verliert Dinge, <i>weil </i>man etwas los werden will, ohne zu wissen, dass man <i>es</i> los werden will. - Was ich <i>en gros</i> für eine Bauchpinselei gegenüber der Spezies Mensch halte: wenn <i>wir</i> tatsächlich nur Dinge verlieren würden, die wir insgeheim verlieren wollen, würde in unseren Leben wohl kaum <i>etwas</i> verloren gehen. - Was mich wiederum zurück zum <i>The Sarah Book</i> bringt: wenn McClanahan eine Szene beschreibt, wo der sich im Widerstreit zwischen <i>Es </i>und <i>Ich </i>zerreibende Scott (so der Name des Protagonisten) sich Auto-fahrend betrinkt, um nach zig Kilometern zu realisieren, dass er die gemeinsamen Kleinkinder im Fonds hat und also nicht nur das eigene Leben riskiert, wenn er Formel-1-mäßig über den Highway brettert, sondern auch das der unschuldigen, kleinen Geschöpfe und er schlicht auf sie <i>vergessen </i>hat, dann könnte jetzt der Psychonanalytiker in mir mit dem Brustton der Überzeugung davon reden, dass sich darin die Aggression des (Jung-)Vaters gegenüber seinen Kindern schreibt, während mir der Pragmatiker erzählt, dass es sich bloß um <i>Selbst-</i>Vergessenheit handelt - und also um einen jungen Mann, der weder für sich noch für andere Verantwortung übernehmen kann. Und will (was im Grunde einem Anwerfen der <i>Wunschmaschine</i> entspricht). Und wie das Leben so spielt: beides wäre von Nöten, um das Leben zu meistern (das ja bekanntlich kein <i>Wunsch</i>konzert ist).</div>
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Egal ob pragmatisch oder psychoanalytisch, beide Erklärungszusammenhänge machen eine Kausalität auf und geben damit Hinweise in Richtung des Schicksals des <i>verlorenen Dings.</i> So es sich, wie bei Scott um die (ehemalige) Ehefrau handelt, ergibt sich aus pragmatischer Perspektive ein Schuldzusammenhang: Scott hat sich zu wenig um seine Ehefrau und seine Kinder gekümmert, weshalb ihr kein anderer Ausweg bleibt, als sich von ihm zu trennen. Aus psychoanalytischer Sicht - wie schon oben angedeutet - handelt es sich, um einen Machtkampf im ödipalen Dreieck, wo das <i>Es </i>als Sieger hervor geht (wo <i>es </i>war, bleibt <i>es</i>) und das <i>Ich</i> dementsprechend gedemütigt zurückbleibt. Um s<i>ich</i> selbst zu retten, wird konsequenter Weise eine weitere Person im Dreieck montiert: Scott phantasiert einen Liebhaber seiner Ex, womit sich sein Handeln (auch rational - und also aus <i>Ich</i>-Perspektive) rechtfertigen lässt. </div>
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Nachdem, wenn man <i>etwas</i> verloren hat, meistens davon ausgegangen wird, dass <i>es </i>wieder gefunden werden kann, wird mit Verlust emotional primär Hoffnung verknüpft, nämlich jene, das Verlorene wieder zu finden (mit der Ausnahme vom Tod - mit dieser Überlegung wird übrigens in der US-amerikanischen Fernsehserie <i>The Leftovers</i> gespielt, wenn von einem Tag auf den anderen plötzlich zwei Prozent der Menschheit spurlos <i>verschwinden</i> und niemand weiß, ob es sich dabei um ein Phänomen von Dauer handelt oder aber die Verschwundenen wieder zurückkehren werden). Eine Hoffnung freilich, die angesichts der Menge an Verlust, die während eines Menschenlebens zusammen kommt, nur enttäuscht werden kann. - Verlust, so ließe sich vermuten, ist die Grundkonstante des Lebens im Allgemeinen - so wie ganz zu Beginn von Scott schon dargestellt (in der Physik entspricht dem die Entropie, die ständig zunehmen <i>muss</i>). Folgerichtig <i>muss</i> auch Scott am Ende verlustig gehen - und wir hören ihn sagen: <i>I was a Sarah too.</i> </div><div><br /></div><div>Die Wunschmaschine ist für immer entkoppelt.</div>
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Brucknerhttp://www.blogger.com/profile/14676812299962347082noreply@blogger.com0